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Category Archives: Aus der Geschichte lernen

Den Krieg für immer verbannen! Warum konnten die Kriegsgegner den Ersten Weltkrieg nicht verhindern, in dem 20 Millionen Menschen ihr Leben verloren? Der engagierte US-Amerikaner Adam Hochschild fragt: Wie werden Kriege gemacht – und weitergeführt? Wie gelingt es Politikern, die Bevölkerung dazu zu bringen, einen Krieg geschlossen zu unterstützen? Warum kämpfen Menschen weiter, nachdem die nationale Euphorie verflogen und der Krieg unpopulär geworden ist? Keir Hardie, der große Führer der britischen Arbeiter, einem Bebel oder Jaurès vergleichbar, dessen erbittertem und verzweifeltem Kampf gegen den Krieg vor und nach 1914 in allen Einzelheiten nachgegangen wird.

31 Saturday May 2014

Posted by wirwollenkeinenkrieg in Aktivitäten, Aus der Geschichte lernen, Frieden schaffen, Friedensbewegung und Friedensaktivisten

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Lektionen aus dem 1. Weltkrieg für die Friedensbewegung (I)

Interview über das neue Buch von Adam Hochschild

 

Von Amy Goodman, 10.05.2011 – Democracy Now!

Die Obama-Administration führt im Ausland weiterhin Militäroperationen durch. Wir nähern uns dem Krieg aus einer historischen Perspektive. Wie werden Kriege gemacht – und weitergeführt? Wie gelingt es Politikern, die Bevölkerung dazu zu bringen, einen Krieg geschlossen zu unterstützen? Warum kämpfen Menschen weiter, nachdem die nationale Euphorie verflogen und der Krieg unpopulär geworden ist? In seinem neuen Buch geht Adam Hochschild diesen und vielen weiteren Fragen nach – anhand eines der blutigsten Konflikte, die es je gab: dem 1. Weltkrieg. Sein neues Buch heißt: ‘To End All Wars: A Story of Loyality and Rebellion, 1914 – 1918’ (erschienen bei Mifflin Harcourt).

Unser Gast: Adam Hochschild – Autor zahlreicher Bücher (u.a. über den Kongo: ‘King Leopold’s Ghost’ [deutsch: ‘Schatten über dem Kongo’]). Er war Mitbegründer des Magazins ‘Mother Jones’ und wurde mit zahlreichen Preisen – einschließlich des Mark Lynton History Prize’ und des ‘Lannan Literary Award’ -, ausgezeichnet. Er ist Dozent an der ‘Berkeley Graduate School of Journalism’.

Amy Goodman: Wenige Wochen nach Osama bin Ladens Tod macht die Obama-Administration keine Anstalten, ihre Militäraktionen im Ausland zurückzufahren. Die Besatzung Afghanistans geht unvermindert weiter. In Pakistan und im Jemen haben die USA erneut Drohnenangriffe durchgeführt, denen mindestens 10 Menschen zum Opfer fielen. Der Überfall auf Osama bin Laden wird als Missachtung der Souveränität Pakistans kritisiert. Am Montag erklärte der Regierungssprecher des Weißen Hauses, Jay Carney, die USA würden sich für diese Razzia nicht entschuldigen.

(Einspielung:)

Natürlich nehmen wir die Statements und die Besorgnis der pakistanischen Regierung ernst. Andererseits entschuldigen wir uns nicht für das, was wir getan haben, was der Präsident getan hat. In seinem Wahlkampf hatte er gesagt: Wenn sich eine Möglichkeit bieten wird, Osama bin Laden der Gerechtigkeit zuzuführen, während er sich auf pakistanischem Boden befindet und dies die einzige Chance ist, wie wir es – unilateral – tun können, werde er diese Chance nutzen und es tun. Und er hat es getan. Seiner Ansicht nach besteht schlicht nicht der geringste Zweifel, dass er dazu berechtigt war und dass es notwendig war, dass er es tat. (Ende)

Amy Goodman: Nun, die Obama-Administration führt ihre Militäroperationen fort. Wir befassen uns mit dem Krieg, wie er gemacht – und weitergeführt wird – aus historischer Sicht. Wie gelingt es Politikern, eine Bevölkerung zu galvanisieren, damit sie den Krieg unterstützt? Warum kämpfen Menschen auch dann noch in unpopulären Konflikten, wenn der nationale Freudentaumel verflogen ist?

(…) Willkommen bei Democracy Now!

Adam Hochschild: Schön, hier zu sein.

Amy Goodman: Sie befassen sich mit Bewegungen – im Kongo oder mit der Bewegung gegen die Sklaverei. Auch in Ihrem neuen Buch geht es um Bewegungen. Ihr Buch handelt von der Kriegstreiberei und von dem, was sich ihr entgegenstellt. Das war meine Einleitung. Bitte erzählen Sie weiter über den 1. Weltkrieg. Wer war für diesen Krieg – wer dagegen?

Adam Hochschild: Nun, interessant an diesem Krieg ist, dass er rund 20 Millionen Menschen das Leben gekostet hat – Soldaten und Zivilisten. Dieser Krieg hat die Welt tatsächlich nachhaltig verändert, im negativen Sinne, in jeder nur denkbaren Hinsicht. Die Art, wie er endete, war Garant für den Aufstieg der Nazis und den Beginn eines noch verheerenderen Krieges (2. Weltkrieg). In allen Staaten, die Kriegspartei im 1. Weltkrieg waren, gab es Menschen, die glaubten, dieser Krieg sei ein Wahnsinn und die sich gegen ihn stellten. Leider konnten sie sich nicht durchsetzen. Dennoch wollte ich ihre Geschichte niederschreiben. Normalerweise schreiben wir über einen Krieg wie über einen Wettkampf zwischen Rivalen. Ich hingegen interessierte mich für eine andere Seite dieses Krieges: für den Konflikt zwischen Jenen, die in diesem Krieg einen edlen und notwendigen Kreuzzug sahen und Jenen, die ihn schlicht für eine verrückte Sache hielten.

Ich habe mich auf Großbritannien konzentriert, weil dort die Antikriegsbewegung am stärksten war. Mehr als 20.000 Männer im wehrpflichtigen Alter verweigerten dort den Militärdienst, als sie eingezogen wurden. Viele von ihnen waren auch nicht bereit, Ersatzdienst zu leisten, der Verweigerern aus Gewissensgründen angeboten wurde – beispielsweise Frontambulanzen zu fahren oder in der Rüstungsindustrie zu arbeiten. Es ging ihnen ums Prinzip. Mehr als 6.000 von ihnen kamen ins Gefängnis – aus politischen Gründen – und das ist einer westlichen Demokratie. Es war eine bemerkenswerte Bewegung von Menschen. Dass sie Briefe schrieben, war für mich, als Autor, natürlich ein Glücksfall. Sie schrieben Tagebücher und gaben heimlich Gefängniszeitungen heraus. Ihr Verhältnis zu Freunden und Familienangehörigen, die eine andere Meinung zum Krieg hatten, ist ein weiterer interessanter Punkt. In manchen Fällen kämpften diese an der Front.

Amy Goodman: Erzählen Sie uns von einem der führenden Investigativ-Journalisten Großbritanniens, der im Gefängnis landete. Er bekam später den Literaturnobelpreis verliehen. Er gab im Gefängnis eine Zeitung auf Clopapier heraus. Erzählen sie uns von jenen Suffragetten, deren Familie während des Krieges so zerstritten war.

Adam Hochschild: Bertrand Russell war damals ein führender britischer Philosoph. Einige Jahre später wurde er mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet. Er zählte zu den führenden Akademikern des Landes – ein Akademiker aus Cambridge. Als der Weltkrieg ausbrach, glaubte er, sich dagegen engagieren zu müssen. Ein Aspekt, der mich mit Hochachtung für ihn erfüllt, ist die Ehrlichkeit, mit der er über seine Gefühle spricht, wenn es um den Krieg geht. Er sagte über sich selbst, er habe die “die Niederlage Deutschlands so sehr herbeigesehnt wie ein pensionierter General, und meine Liebe zu England ist nahezu das höchste Gefühl, dessen ich fähig bin”. Doch dann fährt er fort: Dieser Krieg solle nicht geführt werden – aus keinem noch so noblen Grund. Es sei lächerlich, wenn Briten und Franzosen behaupteten, sie kämpften für die Demokratie. Schließlich sei das zaristische Russland (eine absolutistische Monarchie) ihr Verbündeter. Er setzte sich vehement gegen den Krieg ein. Er war nicht mehr im wehrpflichtigen Alter. Dennoch setzte er sich vehement für die wichtigste Organisation ein, die damals Wehrdienstverweigerer unterstützte. Deren führende Mitglieder wurden nach und nach verhaftet, weil sie den Wehrdienst verweigerten. Schließlich übernahm Russell den Ehrenvorsitz dieser Organisation. Er begab sich Tag für Tag in das Büro, erledigte die Büroarbeit, die erledigt werden musste – von Menschen und Organisationen wie dieser. Er verschickte Briefe an die Unterabteilungen (der Organisation) in ganz England, in denen es um politische Aktionen ging. 1918 ließ ihn die Regierung schließlich verhaften. Er kam für 6 Monate ins Gefängnis. Ja, Russell war einer von ihnen – einer der Verweigerer.

Ein anderer war Fenner Brockway – ein noch junger Mann. Vor dem Krieg war er Redakteur einer sozialistischen Zeitung, eines Gewerkschaftsblattes, gewesen. Er verweigerte den Wehrdienst und wurde ins Gefängnis gesteckt. Auch im Gefängnis gab er heimlich eine Zeitung heraus. Das war ein absoluter Regelverstoß. Er musste die Zeitung auf Toilettenpapier schreiben und verteilte sie an seine Mitgefangenen. Er gab sie ein Jahr lang heraus, bevor die Behörden es bemerkten und ihn in Einzelhaft steckten. Er lernte einen desertierten Armeesoldaten kennen, der im selben Gefängnis saß. Mit dessen Hilfe erstellte Brockway den ersten, wirklich unzensierten Bericht über die ‘Schlacht von Passchendaele’, jenem furchtbaren Gemetzel an der Westfront. Die britischen Zeitungen, die öffentlich erscheinen konnten, brachten nur “bereinigte” Versionen über diese Schlacht. Es gab zu jener Zeit eine ganze Reihe bemerkenswerter Charaktere.

Amy Goodman: Erzählen Sie uns etwas über die Familie Pankhurst.

Adam Hochschild: Die Familie Pankhurst hat mich fasziniert, weil ich meine Geschichte aus der Perspektive von Familien erzählen wollte, durch die damals ein Riss ging. Die Familie Pankhurst bestand aus Mutter Emmeline Pankhurst und ihren beiden Töchtern Christabel und Sylvia. Sie waren dem radikalsten Flügel der (britischen) Suffragetten zuzurechnen – im Kampf um das Stimmrecht der Frauen, für das Frauenwahlrecht also. Das war kurz vor dem 1. Weltkrieg.

Kurz vor dem Krieg wurde Mutter Emmeline Pankhurst eingesperrt, weil sie, buchstäblich, einen Stein durch ein Fenster von Downing Street Nr. 10 geworfen hatte – dem Wohnsitz des Premierministers. Sie floh aus dem Gefängnis. Als der Krieg ausbrach, war sie auf der Flucht vor der britischen Justiz und hielt sich in Frankreich auf. Kaum war der Krieg ausgebrochen, ließ sie ihre politische Arbeit völlig im Stich und stellte sich der britischen Regierung zur Verfügung. Diese schickte sie auf Reisen – auf Vortragsreisen durch Großbritannien und in die USA. Einmal wurde sie sogar nach Russland entsandt, um die russischen Frauen für den Krieg zu begeistern.

Ihre Tochter Sylvia hingegen war eine absolute Antikriegsaktivistin. Während des gesamten Krieges brachte sie die maßgebliche und meistgelesenste Friedenszeitung Großbritanniens heraus. Einige Nummern wurden von der Regierung verboten. Sylvia hatte eine heimliche Liebesaffäre mit Keir Hardie, dem Führer der ‘Independent Labour Party’ (aus der die heutige ‘Labour Party’ hervorgegangen ist). Auch er engagierte sich vehement gegen den Krieg – bis zu seinem Tod, 1915. Ich glaube, sein Bedauern über den Krieg war die eigentliche Ursache seines Todes.

Die Familie Pankhurst war eine von mehreren Familien, die durch den 1. Weltkrieg tief gespalten wurden – wie viele amerikanische Familien später durch den Vietnamkrieg zerrissen wurden.

Amy Goodman: Adam Hochschild, in Ihrem Buch schreiben Sie über die Zahl der Toten (des 1. Weltkrieges). Sie sagen, es wäre gut, wenn es hier (in den USA) Friedhöfe gäbe – wie in Europa – die zeigen, wie viele Menschen in einem Krieg umkommen.

Adam Hochschild: Ja. Dieser Gedanke ist mir gekommen, als ich über die Friedhöfe des 1. Weltkrieges wanderte. Alle, die sich für den 1. Weltkrieg interessieren, sollten sich an die Stätten der alten Westfront begeben – in Frankreich und Belgien. Ich glaube, es gibt keinen Ort auf der Welt an dem soviele junge Männer begraben liegen. Nehmen Sie irgendeine der großen Schlachten – die Schlacht an der Somme, die Kämpfe in Ypern oder Verdun. Stellen Sie sich auf einen der Hügel und blicken Sie herab auf die Friedhöfe – fünf, sechs, sieben riesige Friedhöfe ringsum, mit je 5.000 bis 10.000 Gräbern. Es ist eine Erfahrung, die einen umhaut.

Wenn ich an die Kriege denken, die wir heute führen – im Irak oder in Afghanistan – wüsste ich keinen Ort, an den die Amerikaner/innen und andere gehen könnten, um sich die Zahl der Kriegstoten visuell bewusst zu machen – zumal die meisten Opfer irakische oder afghanische Zivilisten oder amerikanische Soldaten beziehungsweise Soldaten verbündeter Nationen sind. Wären sie alle an einem Ort begraben, würden die sinnlosen Kriege von heute vielleicht früher enden.

Amy Goodman: Wir machen eine Pause und sprechen anschließend weiter über dieses Thema. Adam Hochschild ist Autor zahlreicher Bücher. Sein neuestes Werk heißt: ‘To End All Wars: A Story of Loyality and Rebellion’, 1914 – 1918’. Wenn wir zurück sind, möchte ich über das Thema ‘abweichende Stimmen und deren Marginalisierung’ sprechen. Hier ist Democracy Now!. Wir sind in einer Minute zurück.

(Pause)

Amy Goodman: Unser Gast ist Adam Hochschild (…) Ich lese Ihnen vor, was die Los Angeles Times zum ‘Memorial Day’ 2010 geschrieben hat: In den Vereinigten Staaten, so steht dort, hatten “benachteiligte Bevölkerungsgruppen während nationaler Kriegszeiten unverhältnismäßig viele Tote zu beklagen”, “angefangen beim Koreakrieg – während reichere Bevölkerungsgruppen die Kriege weniger zu spüren bekamen. Zudem lassen die Daten darauf schließen, (dass) diese ‘Diskrepanz bei den Opfern’, zwischen reichen und ärmeren Bevölkerungsgruppen, im aktuellen Irakkonflikt am ausgeprägtesten ist”.

Adam Hochschild: Ja, das trifft auf mehrere Jahrzehnte zu, in denen die Amerikaner Krieg führten. Sehen Sie sich die Menschen an, die in Vietnam ihr Leben ließen oder im Irak oder in Afghanistan. Darunter sind ausgesprochen wenige Söhne und Töchter von Managern oder Senatoren oder anderen Kongressmitgliedern – fast gar keine. Sie (die Toten) stammen aus armen Bevölkerungsschichten – Kleinstädter. Häufig gingen sie zum Militär, weil es kaum andere wirtschaftliche Möglichkeiten für sie gab.

Einer der Aspekte des 1. Weltkrieges, der mich nicht loslässt, ist die Tatsache, dass es damals kurioserweise genau umgekehrt war. Normalerweise ist die herrschende Klasse – in den meisten Ländern – sehr gerissen, wenn es darum geht, andere für sich sterben zu lassen. Doch im 1. Weltkrieg war es umgekehrt, denn in den meisten (an dem Krieg beteiligten Ländern) war es normal, dass junge Männer der Oberschicht, der Aristokratie also, zur Armee gingen, um Offizier zu werden. Es waren diese jungen Männer, die aus den Gräben stiegen, um ihre Männer den gnadenlosen Maschinengewehrangriffen entgegenzuführen. Wenn man sich die Statistiken ansieht, erlebt man eine Überraschung. Von den Oxford-Absolventen des Jahrgangs 1913, zum Beispiel, fielen 31 Prozent. Um die Jahrhundertwende hatte der britische Premierminister, Lord Salisbury, 10 Enkelsöhne. 5 von ihnen starben im 1. Weltkrieg. Einen davon erwähne ich in meinem Buch.

Amy Goodman: Erzählen Sie uns von der Frau, die sich in einer Friedenskampagne engagierte und ihrem Bruder, der Kommandeur an der Westfront war.

Adam Hochschild: Das war eine dieser faszinierenden, zerrissenen Familien, auf die ich gestoßen bin. Ich habe ziemlich lange gebraucht, um mir klar zu werden, wie ich die Geschichte dieses Krieges anpacken sollte – eine Geschichte über Menschen, die an den Krieg glaubten und über die, die dagegen waren. Eines Tages stieß ich auf einen langweiligen akademischen Artikel, in dem es um eine Frau namens Charlotte Despard ging. Sie war überzeugte Pazifistin und verfasste Pamphlete gegen den Krieg. Sie ist kreuz und quer durch Großbritannien gereist und hat Vorträge gegen den Krieg gehalten. Mehrfach landete sie – im Kampf für das Frauenwahlrecht – im Gefängnis. Sie setzte sich für die Unabhängigkeit Irlands und Indiens ein – für alle radikalen Themen ihrer Zeit. In einem beiläufigen Satz schreibt der Autor: “Natürlich machten all diese Aktivitäten ihrem Bruder schwer zu schaffen”. Der Autor nennt seinen Namen: Sir John French, Oberster Kommandeur an der Westfront. Sobald ich das gelesen hatte, diese faszinierende Tatsache, wurde mir klar, dass ich über dieses Geschwisterpaar schreiben wollte. Was für eine außergewöhnliche Kombination!

Interessant ist, dass sich Bruder und Schwester persönlich ziemlich nahestanden. Sie hatte ihn mitaufgezogen. Er war acht Jahre jünger als sie. Als er ein kleiner Junge war, hat sie ihm das Alphabet beigebracht. Auch während des Krieges haben sie sich immer wieder gesehen. Erst als John French 1918 von der britischen Regierung zum Statthalter (Viceroy) von Irland ernannt wurde und damit zuständig war für die Unterdrückung des nationalen Aufstandes gegen die britische Herrschaft, sprachen sie nicht mehr miteinander. Charlotte ging nach Irland, um für die IRA zu arbeiten. Ab diesem Zeitpunkt sprachen sie nicht mehr miteinander. Es ist eine von vielen Familien, durch die, infolge des Krieges, ein solcher Riss ging.

Amy Goodman: Warum kam es überhaupt zum 1. Weltkrieg?

Adam Hochschild: Das ist einer der auffälligsten Aspekte. Es war wirklich kein Krieg, der aufgrund von hehren Prinzipien geführt wurde. Bis wenige Wochen vor Kriegsausbruch kamen alle ganz gut miteinander klar. Gewisse Spannungen lagen allerdings in der Luft, und es gab rivalisierende Bündnisse. Zwischen Deutschland und Großbritannien fand ein navales Wettrüsten statt. Bis Juni 1914 kamen jedoch alle gut miteinander aus. Es gab keine größeren Grenzkonflikte. Kein Land beanspruchte Territorien eines andern. Der grenzübergreifende Handel florierte. Es gab Joint-ventures usw.. Die britische Flotte stattete Deutschland einen zeremoniellen Besuch ab, und als sie wieder Richtung Heimat abdrehte, sandte der britische Admiral (Kommandeur) seinem deutschen Gegenüber eine Botschaft: ‘Friends now and friends forever’ (Freunde, nun und für immer).

Dann kam es zu einer seltsamen Kette von Ereignissen. Natürlich begann alles mit der Ermordung des österreichischen Erzherzogs Franz Ferdinand in Sarajewo. Damit begannen die Geschehnisse. Schließlich wartete das riesige, marode österreich-ungarische Imperium schon lange auf eine Gelegenheit, um in den wesentlich kleineren Nachbarstaat Serbien einzufallen und ihn auseinanderzunehmen. Die Invasionspläne hatten sie schon ausgearbeitet. Die Ermordung des Erzherzogs gab ihnen nun eine Rechtfertigung – obgleich der Attentäter ein Bürger Österreich-Ungarns war und es keinen Hinweis darauf gab, dass das serbische Kabinett von den Attentatsplänen gewusst hatte. Sie trieben ihre Invasionspläne voran. Die Serben wandten sich hierauf an das befreundete Russland, an die slawischen Brüder, an die Mitchristen der orthodoxen Ostkirche. Russland war mit Frankreich verbündet. Als Russland seine Truppen mobilisierte, zog Frankreich nach. Dies wiederum lieferte Deutschland den Vorwand, um sowohl Frankreich als auch Russland anzugreifen. Es (Deutschland) hatte dies seit langem geplant. In weniger als 6 Wochen stand der ganze Kontinent in Flammen.

Amy Goodman: Die Bewegungen, die Sie beschreiben…. ich denke an einige Ihrer Bücher, wie zum Beispiel: ‘Bury the Chains: Prophets and Rebels in the Fight to Free an Empire’s Slaves’ (deutsch: ‘Sprengt die Ketten’), das von der Bewegung gegen die Sklaverei handelt oder an die Antikriegsbewegung und wie sie marginalisiert wurde, wie Leute eingesperrt wurden und wie sie dennoch zum Schluss triumphierte. Bitte stellen Sie die Bewegung gegen die Sklaverei in den Kontext der Antikriegsbewegungen im 1. Weltkrieg. Vielleicht ist manchen Leuten nicht klar, dass Großbritannien die Sklaverei schon Jahrzehnte vor den USA abgeschafft hat.

Adam Hochschild: Stimmt, und zwar hauptsächlich infolge von zwei Ereignissen. Erstens kam es in Westindien zu mehreren Sklavenaufständen (etwas, was tendenziell aus den Geschichtsbüchern ausgeklammert wird), zum anderen gab es in England eine bemerkenswert solide, wunderbar organisierte, populäre Bewegung gegen die Sklaverei, die alle möglichen Techniken, die Organisatoren bis heute anwenden zum ersten Mal eingeführt hat – tatsächlich. Sie hat beispielsweise das erste politische Poster entworfen. Sicher haben Sie es schon einmal gesehen. Es ist eine Zeichnung – ein Sklavenschiff, im Innern vollgepackt mit Sklavenkörpern.

Nun, diese Bewegung war erfolgreich. Die Sklaverei wurde im Britischen Imperium abgeschafft – und auch in anderen Teilen der Welt. Die Herausforderung für mich, in Hinblick auf den 1. Weltkrieg, war folgende: Bringe ich es fertig, eine interessante und ergreifende Story über eine Bewegung zu schreiben, die nicht erfolgreich war? Es gelang den Pazifisten nicht, den Krieg zu beenden. Dennoch hatte ich das Gefühl, dass es eine wichtige Story ist, die erzählt werden sollte, denn wenn wir nur über Bewegungen schreiben, die gesiegt haben, werden wir viele Dinge aus der Geschichte streichen müssen. Ich hoffe, dass die Menschen, die den Krieg ein- für allemal beenden wollen, irgendwann siegen werden, und ich bin der Ansicht, ihre Chancen stehen besser, wenn sie die Geschichte jener Menschen kennen, die diesen Kampf vor ihnen gekämpft haben.

Amy Goodman: Sie haben einmal in einem Artikel geschrieben: “Wenn man sich mit dem 1. Weltkrieg beschäftigt, ist das Seltsame daran, dass man nicht umhin kann, sich an die heutigen Schlagzeilen erinnert zu fühlen” (‘Echoes of a Bygone War’). Würden Sie sagen, dass die heutige Antikriegsbewegung versagt hat? Schließlich befinden wir uns im längsten (kontinuierlichen) Krieg in der Geschichte Amerikas – in Afghanistan. Geführt wird er von einem Präsidenten, der sich im Wahlkampf gegen einen Krieg gewandt hatte – gegen einen anderen Krieg, nämlich gegen den Irakkrieg. Doch auch dort sind wir immer noch.

Adam Hochschild: Natürlich haben wir bislang versagt, wenn es darum geht, diese beiden Kriege zu stoppen. Ich bin darüber sehr traurig. Ich sagte vorhin ja schon, dass ich das Gefühl habe, wenn es eine Möglichkeit gäbe, dem amerikanischen Volk die Opfer vor Augen zu führen – wie bei einem Blick über die gigantischen Friedhöfe (des 1. Weltkrieges) – würde dies dazu führen, dass sie (die Kriege) früher enden. Noch etwas würde die Kriege schneller stoppen (obwohl es in praktischer Hinsicht wohl nicht sehr wahrscheinlich ist): die Wiedereinführung der Wehrpflicht. Ich glaube, die Wehrpflicht war mit ein Grund, weshalb der Vietnamkrieg beendet wurde – das, und der enorm zähe Widerstand der Vietnamesen. Bei uns gingen Hunderttausende auf die Straße, denn Diejenigen von uns, die im wehrpflichtigen Alter waren, wollten ganz sicher nicht hingehen und in diesem Krieg kämpfen, unser Leben für diesen Krieg riskieren. Das brachte auch die Familien auf den Plan.

Unser Land (Amerika) hat andere Wege gefunden, Kriege zu führen. Das Wichtigste ist die Freiwilligenarmee und dann natürlich Erfindungen, die eine Distanz zum Kriegsgeschehen schaffen, wie Drohnenangriffe (bei denen keine Amerikaner ihr Leben riskieren und die einzigen Opfer Menschen am Boden sind – in diesen Ländern). Es wird schwierig werden, aber ich denke nach wie vor, dass wir Wege finden werden, diese Kriege zu stoppen.

Zu Afghanistan. Ich denke, am Anfang war ein erkennbares Motiv vorhanden. Für die USA war es ziemlich nachvollziehbar, dort zu intervenieren: Dort (in Afghanistan) gab es eine Regierung, die jene schützte, die die Angriffe des 11. September geplant hatten. Doch jetzt sind wir an einem Punkt, wo selbst viele Leute in hohen Positionen, viele in der US-Regierung, erkennen, dass wir weitere Dschihadisten schaffen, indem wir dort weitermachen.

Amy Goodman: Wir werden dieses Gespräch nach unserer Sendung fortsetzen und es online stellen. Unser Gast ist Adam Hochschild. Sein neues Buch heißt: ‘To End All Wars’.

  • Teil II des Interviews:  Lektionen aus dem 1. Weltkrieg für die Friedensbewegung (II)
  • Der Historiker und Autor Adam Hochschild im Gespräch mit Democracy Now! über sein neues Buch (‘To End All Wars’). Hochschild zieht einen Vergleich zwischen dem britischen Pazifismus während des 1. Weltkriegs und dem Engagement in den USA gegen den Vietnamkrieg beziehungsweise gegen die aktuellen Kriege im Irak und in Afghanistan. Im zweiten Teil geht es um das ältere Werk des Autors: ‘King Leopold’s Ghost’ (deutsch: ‘Schatten über dem Kongo’). Es handelt von der schockierenden Ausplünderung des Kongo, der heutigen ‘Demokratischen Republik Kongo’ (DRC) und der Ermordung des ersten gewählten Premierministers des Kongo, Patrice Lumumba, die von den USA unterstützt wurde.

    Amy Goodman: Unser Gast ist Adam Hochschild. Sein neues Buch, ‘To End All Wars’, handelt von Loyalität und Rebellion. Sein Buch davor hieß ‘Bury the Chains’ (deutsch: ‘Sprengt die Ketten’). Ein früheres Werk des Autors beschäftigt sich mit dem “Geist” von König Leopold von Belgien. Es handelt vom Kongo, von Belgien und dessen einstigem König Leopold. Ich möchte über all diese Themen sprechen. Warum haben Sie den Titel ‘To End All Wars’ ([Um] alle Kriege zu beenden) gewählt – für ein Buch über bedeutende und unbedeutende Bewegungen?

    Adam Hochschild: Nun, der Satz “the war to end all wars” (dieser Krieg ist der Krieg, um alle Kriege zu beenden) wird Woodrow Wilson zugeschrieben. Damit wollte Wilson den Eintritt der USA in den 1. Weltkrieg rechtfertigen. Im Wahlkampf hatte er noch versprochen, die USA aus dem Krieg herauszuhalten und wurde für dieses Versprechen 1916 zum US-Präsidenten gewählt. Einige seiner Biographen behaupten, Wilson habe diese Worte geäußert. Wie dem auch sei, sie sind allgemein bekannt. Ich wählte den letzten Teil des Satzes als Titel für mein Buch: ‘To End all Wars’ ([Um] alle Kriege zu beenden), denn genau das sollten wir tun. Außerdem wollte ich, dass die Leute eine Kontinuität erkennen: Damals wie heute war/ist Wahnsinn mit im Spiel, wenn Länder in Kriege verstrickt werden.

    Amy Goodman: Wie Dissens unterdrückt wurde – dieses Thema nimmt viel Raum in Ihrer Story ein. Tausende (desertierte) Soldaten wurden eingesperrt – unter sehr harten Bedingungen. Dissidenten und Journalisten kamen für ihre Ansichten hinter Gitter. Erklären Sie uns – wie funktioniert ein Staat? Wie hat er damals funktioniert, wie funktionier er heute?

    Adam Hochschild: Nun, wissen Sie, wenn Staaten unterdrücken, tun sie dies häufig mit dieser seltsamen Mischung aus Zuckerbrot und Peitsche. Es ist sehr interessant, sich beispielsweise Großbritannien während des 1. Weltkriegs anzusehen. Sie hatten damals ein ausgesprochenes Feingefühl, wenn es darum ging, zu entscheiden, ob sie hart oder weich vorgehen sollten. Sie steckten Militärdienstverweigerer ins Gefängnis – wenn sie sich weigerten, Ersatzdienst zu leisten. Die meisten Veröffentlichungen gegen den Krieg waren aber nicht verboten. Schließlich machte sich Großbritannien Sorgen um die öffentliche Meinung in den USA.

    In den ersten drei Kriegsjahren war Großbritannien emsig bemüht, die USA mit an Bord zu holen, sie auf die Seite der Alliierten zu ziehen. Mitte 1917 war es geschafft. Bis zu diesem Zeitpunkt waren sie bemüht, tunlichst alles zu vermeiden, was ihnen eine schlechte Presse in den USA eingebracht hätte. Es existiert noch alte Korrespondenz – ein Austausch von Vertretern (beider) Regierungen: Sollen wir Soundso ins Gefängnis stecken? Nein, besser nicht, es könnte an die amerikanische Presse gelangen. Doch sie fanden andere Wege, um Veröffentlichungen, die sich gegen den Krieg wendeten, zu erschweren – zum Beispiel, indem sie dafür sorgten, dass diese Leute möglichst wenig Papier zugeteilt bekamen. Papier war damals rar. Um solche Dinge ging es damals.

    Hinzu kam, dass sie bestimmte wichtige Leute verfolgten und dafür sorgten, dass sie hinter Gitter kamen – zum Beispiel Bertrand Russell (siehe Teil I des Interviews). Edmund Dene Morel war damals Großbritanniens führender investigativer Journalist. Im Jahr davor hatte er eine enorm wichtige Rolle beim Kongo-Skandal gespielt. Er war eine mächtige Stimme gegen den 1. Weltkrieg – und landete im Gefängnis. Im Unterschied zu Russell wurde er zu harter Zwangsarbeit verurteilt. Damals herrschte in Großbritannien ein Mangel an Nahrungsmitteln und an Kohle zum heizen. Morel war im Winter in Haft. Was die Versorgung mit Lebensmitteln und Kohle anging, kamen die Gefängnisse an letzter Stelle. Morel schrieb – sehr bewegend – über die nächtlichen Fröste in seiner Gefängniszelle, ohne Decken. Zumindest…

    Amy Goodman: Warum kam er ins Gefängnis?

    Adam Hochschild: Aufgrund dessen, was er geschrieben hatte. Wissen Sie, das war die Rechtfertigung. Sie rechtfertigten es mit einer Vorschrift, die besagte, dass es nicht zulässig sei, Antikriegs-Propaganda in neutrale Länder zu verschicken. Er hatte etwas, das er geschrieben hatte, in die Schweiz geschickt. Doch es existiert noch ein Dokument des damaligen britischen Außenministeriums, in dem ein Offizieller einem anderen Offiziellen Folgendes mitteilte: “Wir müssen diesen Mann sicher ins Gefängnis bringen.” Schließlich war Morel eine immens starke, gewaltige Stimme gegen den Krieg.

    Amy Goodman: Sie haben sich auch mit dem beschäftigt, was sich zehn Jahre davor in Belgisch-Kongo abgespielt hatte. Ihr Buch ‘Schatten über dem Kongo’ (Original: ‘King Leopold’s Ghost’) lehrt einen das Gruseln, und das ist noch untertrieben. Es geht um eine wirklich furchtbare Episode in der Weltgeschichte. Erzählen Sie uns doch bitte kurz – vor allem den Leserinnen und Lesern, die verstehen wollen, was heute im Kongo passiert, die die Geschichte dieses Landes begreifen wollen.

    Adam Hochschild: Nun, ich will Einiges aufzählen, was gleichgeblieben ist. Der heutige Kongo – die Demokratische Republik Kongo – hat in etwa dieselben Grenzen wie Belgisch-Kongo (1908 – 1960). Vor Belgisch-Kongo gab es den so genannten ‘Congo Free State’. Dieser war Privatbesitz des Königs Leopold II von Belgien. Erst später wurde das Gebiet eine belgische Kolonie.

    Während all dieser Zeit, all dieser Umbrüche, war und blieb das Territorium des Kongo eine Fundgrube für Ausländer, die sich an den enormen Reichtümern gütlich taten. Die erste Ressource (die sie ausbeuteten) war die menschliche Ressource. Der Kongo war eine wichtige Quelle für den Sklavenhandel, der über den Atlantik verlief. Die Vorfahren der meisten Schwarzen, die heute in Brasilien leben, kamen von den Ufern des Kongo-Beckens. Portugiesen hatten sie über den südlichen Atlantik (nach Lateinamerika) verschleppt.

    Mitte des 19. Jahrhunderts hörte der Sklavenhandel über den Atlantik auf. König Leopold hatte Kontrolle über das Land erlangt. Er war…

    Amy Goodman: … der belgische König.

    Adam Hochschild: … der belgische König. Doch Belgien wollte keine Kolonien – also nahm er sie für sich…

    Amy Goodman: … als seine eigene, persönliche Kolonie…

    Adam Hochschild: … als Privatbesitz. Alle wichtigen Nationen der Welt haben dies anerkannt – allen voran die USA. Wir waren die Ersten, die akzeptierten, dass er (König Leopold) dieses Gebiet sein eigen nannte.

    Er war am Elfenbein interessiert. Damals war Elfenbein ungeheuer wertvoll. Kurz nachdem er die Kontrolle über das Gebiet erlangt hatte, wurden reiche Gummivorkommen entdeckt – natürliche Vorkommen. Damals gab es einen Gummi-Boom – weil man gerade erst das Rad mit Gummiummantelung erfunden hatte, das keine Luft mehr verlor. Man benötigte Gummi für die Ummantelung von Teilen des Telefons und der Telegraphenkabel, für Dinge dieser Art. Leopold machte einen Großteil der männlichen Erwachsenenbevölkerung zu Arbeitssklaven, um Gummi zu sammeln. Dies führte zu einem Massensterben. Innerhalb von 40 Jahren ging die Bevölkerung (des Kongo) um circa 10 Millionen zurück.

    Dann wurde der Kongo belgische Kolonie. Kurze Zeit später starb Leopold. Die Belgier interessierten sich für viele weitere Mineralien – wie Kupfer, Gold, natürliches Uran, Palmöl usw..

    1960 wurde das Land unabhängig. Doch die Regierung war extrem schwach und korrupt. Viele Jahre lang wurde das Land von einem Diktator namens Mobutu regiert, der die Unterstützung der USA hatte. 1997 wurde er gestürzt und starb. Seither ist der Kongo, weitgehend, im Chaos versunken – mit einem äußerst komplexen Bürgerkrieg, mit vielen Parteien. Im Grunde geht es jedoch nach wie vor um Ressourcen.

    Es ist ein oder zwei Jahre her, seit ich dort war. Man kann sehen, wie überall der Reichtum außer Landes geschafft wird. Einmal befand ich mich, gemeinsam mit anderen Ausländern, auf einer Straße in Goma, im Osten des Kongo, als ein Mann auf uns zukam und uns Uran anbot. Er nannte seinen Preis, sagte aber, dieser sei noch verhandelbar. Über dir fliegen Flugzeuge, die Zinnerz außer Landes schaffen. Die Straßen sind nämlich so schlecht, dass man mit Lastwagen nicht bis zu den Minen durchkommt.

    Amy Goodman: Und Koltan für unsere Handys.

    Adam Hochschild: Das meiste kommt von dort – auch eine Menge des Goldes. Der Kongo exportiert jedes Jahr Gold im Wert von mehr als einer Milliarde Dollar. Ich habe mir eine Goldmine angesehen, in der Bergleute nach Gold gruben. Wissen Sie, diese Leute gruben mit den Händen nach Gold. Es waren die alten Techniken, die schon die kalifornischen Goldsucher 1849 in Kalifornien anwendeten: Erst wird mit Hacke und Schaufel freigegraben; dann lässt man Wasser durch eine Schleuse, und der Goldstaub setzt sich am Boden ab. Die Arbeiter, die diese Knochenarbeit verrichteten, verdienten rund ein bis zwei Dollar am Tag, und zum Schluss wird das Gold dann außer Landes geflogen.

    Amy Goodman: 2011 war der 50. Jahrestag der Ermordung von Patrice Lumumba. Seine Ermordung wurde von den USA unterstützt. Lumumba war der erste demokratisch gewählte Führer des Landes, das sich heute ‘Demokratische Republik Kongo’ (DRC) nennt. Ich möchte gerne die Aussage eines ehemaligen CIA-Agenten namens John Stockwell einspielen. Darin äußert er sich über die CIA-Pläne der USA zur Ermordung Lumumbas:

    (Einspielung:)

    John Stockwell:
    Die CIA hatte ein Programm zur Ermordung Lumumbas entwickelt – von Devlin angeregt und gemanagt. Doch das Programm, das sie entwickelten, die Operation, klappte nicht. Sie führten sie nicht zu Ende. Lumumba sollte vergiftet werden. Sie konnten sich jedoch keine Szenerie vorstellen, in der sie Lumumba das Gift erfolgreich verabreichen konnten, so dass es nicht nach einer CIA-Operation aussehen würde. Ich meine, man konnte ihn ja offensichtlich nicht zu einer Cocktail-Party einladen und ihm einen Drink geben – und kurze Zeit später ist er tot. Also haben sie es aufgegeben. Sie bekamen kalte Füße. Stattdessen gingen sie so vor, dass der Chef vor Ort mit Mobutu sprach – über die Gefahr, die Lumumba darstellte. Und Mobutu ging hin und tötete Lumumba – seine Männer brachten Lumumba um.

    Interviewer: Welche Verbindung bestand zwischen der CIA und Mobutu? Gaben sie ihm Geld?

    John Stockwell: Ja, in der Tat. Ich war dabei, als der Chef vor Ort 1968 die Story erzählte – über den Tag vor jenem bewussten Tag. Sie wollten Mobutu $25.000 in bar geben, aber Mobutu sagte: “Behaltet das Geld. Ich brauche es nicht.” Damals war Mobutus europäisches Bankkonto natürlich schon so prall, dass $25.000 für ihn nichts waren. (Ende)

    Amy Goodman: Das war John Stockwell, ein ehemaliger Agent der CIA, über die CIA-Pläne zur Ermordung Lumumbas. Was ist mit dem ersten demokratisch gewählten Führer der heutigen Demokratischen Republik Kongo wirklich passiert?

    Adam Hochschild: Nun, Lumumba wurde im Januar 1961 ermordet. Die USA und Belgien ermutigten die Tat enorm. Es handelte sich um die Ermordung des ersten demokratisch gewählten Präsidenten des Kongo. Ich denke, es war ein vielsagender Moment, denn Lumumba stellte in den Augen der USA, Belgiens und Europas eine Gefahr dar. Er war einer, der sagte: “Politische Unabhängigkeit allein reicht Afrika nicht. Wir müssen auch Kontrolle über unseren Reichtum, unsere Ressourcen, haben.” Das wurde als unerträglich empfunden. Sie wollten ihn tot sehen. Sie wollten Mobutu an der Macht haben – einen extrem korrupten Menschen, der darauf bedacht war, dass die USA, Belgien und andere Staaten weiterhin vom Kongo profitieren konnten. Und so ist es ja dann auch gekommen.

    Amy Goodman: Kommen wir noch einmal auf König Leopold zurück – um seine damalige Brutalität zu verstehen. Mobutu war der Nachfolger von Patrice Lumumbas. (Mobutu) war der ‘Mann der USA im Kongo’. Und was tat König Leopold zu seiner Zeit?

    Adam Hochschild: Nun, er entwickelte ein System der Zwangsarbeit, ein System der Sklavenarbeit. Um die Leute (im Kongo) dazu zu bringen, in die Regenwälder zu gehen und Gummi zu ernten, schickte er Soldaten los. Sie klapperten ein Dorf nach dem andern ab. Sie nahmen die Frauen als Geiseln und zwangen die Männer so, in den Regenwäldern nach Gummi zu suchen – tagelang, manchmal wochenlang. Oft kam es zu Aufständen gegen das drakonische System. Die Armee war daran gewöhnt, sie niederzuschlagen. Es handelte sich um eine Armee aus Schwarzen, die eingezogen wurden und unter weißen Offizieren dienten.

    Die Offiziere achteten genau darauf, wieviele Patronen sie ihren Soldaten aushändigten. Sie wollten nicht, dass sie die Kugeln – bei einer eventuellen Meuterei – selber abbekamen. Also verlangten sie von einem Soldaten für jede Patrone, die er bekam, eine Hand, die er der Person, die er damit erschossen hatte, abgeschnitten hatte. So wollten sie sicherstellen, dass die Soldaten die Kugeln nicht aufbewahrten, um sie für eine Meuterei einzusetzen oder für die Jagd usw.. Oft verfehlten die Soldaten aber das Ziel, wenn sie auf eine Person schossen – auf einen Rebellen. Also schnitten sie einer lebenden Person die Hand ab. Es gibt schreckliche Fotos aus jener Zeit, die lebende Menschen zeigen – häufig noch Kinder – denen die Hände fehlen. Solche Dinge wurden zum Symbol für das Regime. Eine bemerkenswerte Protestbewegung entstand dagegen. Sie zeigte diese Bilder weltweit – mit Projektoren, im Großformat.

    Amy Goodman: Sagen Sie noch etwas zu jenem Wendepunkt – zur Ermordung Lumumbas. Was war mit der Befreiungsbewegung, die sich überall in Afrika entwickelte?

    Adam Hochschild: Nun, ich denke, für die meisten Afrikaner war die Ermordung Lumumbas, vor 50 Jahren, eine Botschaft: Auch wenn Afrika politisch unabhängig ist, wird es nicht seinen eigenen Weg gehen dürfen: Dieser Mann, der getötet wurde, hatte gefordert, dass Afrika die Kontrolle über seine eigenen Ressourcen erhalten sollte, und es war ziemlich offensichtlich, dass die USA und Westeuropa dies nicht zulassen wollten. Ich denke, in gewisser Weise besteht zwischen der ‘entwickelten Welt’ und Afrika noch immer eine neokoloniale Beziehung.

    In Afrika gibt es bis heute immense Vorkommen an natürlichen Ressourcen. Im Moment interessieren sich die USA am meisten für Öl. Ich denke, die größte Sorge der USA und Europas, aber auch Chinas (dessen Verhältnis zu Afrika vergleichbar ist) gilt dem Fluss der natürlichen Ressourcen aus dem Kontinent Afrika. Dieser soll nicht abreißen. Aus diesem Grund haben wir nun, innerhalb der US-Streitkräfte, das AFRICOM, das ‘African Command’. Es mutet etwas seltsam an, dass wir ein solches Kommando haben. Schließlich führen wir in Afrika offiziell keine Kriege. Bis jetzt ist es, soviel ich weiß, in Deutschland angesiedelt, weil sie noch kein afrikanisches Land gefunden haben, das den Gastgeber spielen will.1 Sie wollen bereit sein, wenn es darum geht, eventuelle Ressourcenkriege zu führen – damit das Öl weiter fließen kann.

    Amy Goodman: Hier meine letzte Frage. Sie waren Mitbegründer von ‘Mother Jones’ – eines unabhängigen Monatsmagazins. Ich möchte mit Ihnen über das Thema ‘Medien’ sprechen und deren Rolle, wenn es darum geht, bestimmte Stimmen mundtot zu machen. Damit meine ich nicht ‘Mother Jones’ sondern die Konzernmedien in unserem Land. Es fällt mir schwer, in diesem Zusammenhang von ‘Mainstream-Medien’ zu sprechen, weil sie den Mainstream (die Mehrheit, die Mitte) Amerikas nicht repräsentieren. Die Leute, die gegen Krieg und Folter sind, repräsentieren den Mainstream. Doch die Konzernmedien spiegeln die Haltung des Mainstream nicht wieder. Wir haben das Programm mit einer Sendung über Tony Kushner begonnen, der ja damals zum Schweigen gebracht wurde. Er sollte eine Ehrendoktorwürde NICHT verliehen bekommen2 … Daraufhin gab es einen Aufschrei, und er erhielt sie doch. Sie sind ebenfalls im Beratungsgremium von ‘A Jewish Voice for Peace’ (www.jewishvoiceforpeace.org). Wie stehen Sie dazu, dass abweichende Meinungen unterdrückt werden – ob nun in der amerikanischen Politik oder durch die israelische Regierung?

    Adam Hochschild: Stimmt. Ich denke, hier, in den USA, werden abweichende Meinungen nicht so sehr unterdrückt wie in vielen anderen Staaten. Das kann extreme Ausmaße annehmen und extrem offen vor sich gehen: Leute werden erschossen oder ins Gefängnis gesteckt, weil sie unbequeme Wahrheiten sagen. Ich lebe natürlich lieber in einem Land, in dem mir mit Entzug eines Ehrentitels gedroht wird, als in einem, wo ich an die Wand gestellt und erschossen werde, weil ich anderer Meinung bin als die Regierung. Ich weiß es wirklich zu schätzen, dass wir hier viel mehr Möglichkeiten haben, abweichende Meinungen zu äußern als Menschen in manchen anderen Ländern.

    Dennoch gibt es eine Orthodoxie, die sich durch alle Medien zieht. Selbst die ‘New York Times’, die mir wirklich sehr viel bedeutet und der ich täglich 45 Minuten widme, hat blinde Flecken in der Berichterstattung. Sie finden dort endlos lange Artikel über die Haushaltsdebatte, aber sehr selten wird die Frage gestellt, ob man den Militärhaushalt nicht kürzen sollte. Ja, es gibt hier Defizite. Warum ist so wenig davon die Rede, dass die USA soviel Geld für ihr Militär ausgeben wie der Rest der Welt zusammen? Das wird irgendwie als Selbstverständlichkeit hingenommen. Folglich denke ich, dass wir in einer Zeit leben, in der abweichende Meinungen nicht unbedingt unterdrückt werden, in der jedoch viele Vorstellungen zu selbstverständlich sind.

    Wenn Journalisten Phrasen wie diese dreschen: “Die USA brauchen für ihr Militär…”, wenn von unserem absolut kolossalen Militärbudget die Rede ist (ein Dutzend Flugzeugträger-Kampfeinheiten zu Wasser, Hunderte von Stützpunkten in anderen Ländern), wie kann man da von “brauchen”, von einem “Bedarf”, sprechen? Die Sprache verrät die (voreiligen) Schlüsse, die gezogen werden. Wer sie infrage stellt, bekommt in den Medien selten den Raum, den er/sie eigentlich eingeräumt bekommen sollte – Programme wie dieses natürlich ausgenommen. Es ist mir eine Ehre, hier zu sein – zusammen mit jemandem wie Tony Kushner.

    Amy Goodman: Macht es Ihnen Mut, zu sehen, dass die Reaktionen auf die Aberkennung des Titels im Falle Kushner eine Kehrtwende bewirkt haben – denn das war ja offensichtlich?

    Adam Hochschild: Ja, das tut es wirklich. In den letzten ein, zwei Jahren sind Organisationen entstanden wie ‘J Street’ in Washington. Dadurch sind die Dämme ein wenig gebrochen, so dass es endlich möglich ist (so meine Hoffnung) harte Kritik an der israelischen Politik zu üben, ohne gleich als Antisemit bezeichnet zu werden. Ich denke, man begreift so langsam, dass die bedingungslose Rückendeckung für Israel, über so viele Jahrzehnte, die USA ins Abseits manövriert haben. Aus dieser Position heraus ist es sehr, sehr schwierig, eine dauerhafte und gerechte Friedenslösung im Nahen Osten zu erreichen. Ich glaube, das erkennen heute mehr Menschen als dies früher der Fall war. Allerdings glaube ich, dass die Israel-Lobby immer noch die mit Abstand stärkste Lobby in Washington ist.

    Amy Goodman: Adam Hochschild, vielen Dank, dass Sie bei uns waren.

    • Teil I des Interviews:  Lektionen aus dem 1. Weltkrieg für die Friedensbewegung (I)
  • http://www.lebenshaus-alb.de/magazin/006899.html
  • DER ERSTE WELTKRIEGRückblick auf ein “Feld politischen Lernens”

    Von Martin Hubert

    Soldaten stehen in einem Schützengraben während des Ersten Weltkriegs.

    Die anfängliche Euphorie vieler Beteiligter verwandelte sich in Grauen. (AP)

    Seinen Beinamen “Der große Krieg” trägt der Erste Weltkrieg zu Recht: Fast 70 Millionen Soldaten aus mehr als drei Dutzend Ländern waren beteiligt. Heute gilt er als Werkstatt aller Technologien, Strategien und Ideologien. Zwei Neuerscheinungen widmen sich unterschiedlichen Perspektiven.

    Ist das ein Lehrstück? Am 28. Juni 1914 ermorden Separatisten im serbischen Sarajewo den österreichischen Thronfolger. Einige Tage später erteilt das Deutsche Reich Österreich-Ungarn die berühmte “Blankovollmacht”: Man garantiert bedingungslose Unterstützung bei kriegerischen Reaktionen. Gut vier Wochen später beginnt der Erste Weltkrieg mit den zentralen Akteuren Deutschland, Habsburgisches und Osmanisches Reich, England, Frankreich, Russland und schließlich den USA. Im kommenden Jahr jährt sich der Kriegsbeginn zum hundertsten Mal, also ist es Pflicht, an diese Fakten zu erinnern. Ist es aber mehr als nur eine historische Pflicht? Der renommierte Berliner Politikwissenschaftler Herfried Münkler bejaht das in seinem Buch “Der Große Krieg. Die Welt 1914 bis 1918” entschieden.

    “Viele der Herausforderungen, die vor und nach 1914 das Handeln der Politiker und die Erwartungen der Bürger bestimmt haben, sind zwischenzeitlich zurückgekehrt und bestimmen auf die eine oder andere Weise erneut die europäische wie die globale Politik. Der Krieg von 1914 bis 1918 ist als Feld politischen Lernens wieder interessant geworden.”

    Und zwar deshalb, so Münkler, weil der Erste Weltkrieg eine Werkstatt aller Technologien, Strategien und Ideologien gewesen sei, die bis heute nachwirken: durchgeplante Kriegsführung, propagandistische Mobilmachung, übersteigerter Nationalismus und imperiales Machtstreben. Auf mehr als 800 Seiten präsentiert er dem Leser daher eine beeindruckende Gesamtdarstellung des Krieges, die mit zahlreichen Abbildungen versehen ist.

    Ein großer Anteil der Intellektuellen

    Münkler beschreibt detailliert die militärischen Strategien an der West- und Ostfront und die taktischen Fehleinschätzungen quer durch alle Lager. Er schildert den Einsatz neuer Waffentechniken vom MG über das U-Boot bis zum Giftgas mit seinen grausamen Folgen. Und er beleuchtet die soziale Lage in den Kriegsländern sowie die politischen Auseinandersetzungen um Krieg oder Frieden.

    Dabei zeigt er, wie entscheidend die Intellektuellen zur Eskalation auf beiden Seiten beitrugen. Sie propagierten den Krieg als nationales oder völkisches Erweckungserlebnis oder als Befreiung aus einem Zeitalter des Materialismus und Niedergangs. Wobei Münkler vor allem die über Deutschland kursierende Ansicht korrigiert, das ganze Volk sei ungeteilt vom Kriegsrausch erfasst gewesen.

    “Zunächst ist festzuhalten, dass patriotisch aufgewallte Massen nicht nur in Berlin, München oder Wien, sondern ebenso in Paris, London und St. Petersburg zu beobachten waren. Doch ebenso wie in Mitteleuropa blieben die Umzüge und Versammlungen von Kriegsbegeisterten auch in den Ländern der Alliierten im Wesentlichen auf die Hauptstädte beschränkt und wurden überwiegend von den bürgerlichen Mittelschichten getragen. Das bestätigt die These, wonach der Erste Weltkrieg, zumindest in seiner Anfangsphase, ein Krieg der bürgerlichen Mittelschichten gewesen ist.”Britische Kriegsschiffe 1916 vor dem Zusammentreffen mit der deutschen Flotte am Skagerrak.Britische Kriegsschiffe 1916 vor dem Zusammentreffen mit der deutschen Flotte am Skagerrak. (AP Archiv)

    Was löste den Krieg aus?

    Wer aber war wirklich Schuld am Ausbruch des Krieges? Münkler entwirft ein komplexes Bild sich wechselseitig verstärkender Faktoren. Insofern schließt er sich neueren Deutungsmustern an, welche die Alleinschuld Deutschlands relativieren ohne die besondere Verantwortung des Deutschen Reiches zu leugnen.

    “Der politischen und militärischen Führung Deutschlands sind zweifellos eine Reihe von Fehlurteilen und Fehleinschätzungen unterlaufen, aus denen dann Führungsfehler erwachsen sind, die zunächst in den Krieg und dann in die Niederlage geführt haben. Das beginnt beim Aufbau der deutschen Kriegsflotte und der ihr zugedachten weltpolitischen Aufgabe, geht weiter über den vermeintlich genialen Plan des Generals von Schlieffen, das Problem eines möglichen Zweifrontenkrieges zu lösen, und reicht bis zu dem verhängnisvollen Entschluss zu einem uneingeschränkten U-Boot-Krieg, der die Mittelmächte endgültig auf die Verliererstraße brachte.”

    Insgesamt, so Münkler, hätten sich ständig verstärkende Ängste zum Ersten Weltkrieg geführt, das Sarajewo-Attentat sei nur der entscheidende Anlass gewesen. Besonders das ökonomisch aufstrebende Deutschland hatte schon vor 1914 durch den Kriegsflottenbau Expansionsängste bei seinen europäischen Nachbarn geschürt. Die Briten verbündeten sich daher mit Frankreich und Russland gegen die Mittelmächte Deutschland und Habsburg. Umgekehrt fühlten diese sich eingekreist und speziell Deutschland fürchtete eine militärische Übermacht Russlands.

    Münklers Buch überzeugt vor allem durch die Art und Weise, in der es die Beschleunigungseffekte im damaligen Weltgeschehen herausarbeitet. So schildert es, wie die jeweiligen Maßnahmen rasch zu immer neuen Zwangslagen führten. Ingesamt führt Münkler nachdrücklich vor, wie ein Krieg, den keine Partei bewusst als Weltkrieg angestrebt hatte, seine eigene Logik entfaltet. Wenn das Militär nicht eindeutig kontrolliert wird, nationale Ideologien und Expansionsgelüste existieren und Misstrauen zwischen den Mächten besteht, ist eine solche Katastrophe programmiert. Man könnte bereits das als Lehrstück bezeichnen. Münkler stellt aber auch direkte Bezüge zur Gegenwart her. Zentrale Konstellationen des Ersten Weltkriegs würden sich heute wiederholen. Etwa der Zerfall alter Ordnungsstrukturen in Europa, was zu schweren Konflikten führen könne.

    “Die Betrachtung der EU nach dem Modell der Imperimsanalyse lässt die konfliktmindernde Wirkung der auf gegenseitige Toleranz zwischen den ethnischen und religiösen Gruppen dieses Raums ausgelegte Politik der einstigen Großreiche deutlich werden. Ihr Zerfall vor und während des Ersten Weltkriegs gibt doch den einen oder anderen Fingerzeig, mit welchen Problemen und Herausforderungen die EU in diesem Raum in Zukunft zu rechnen hat; es gibt politische und kulturelle Eliten, die das Handeln der Brüsseler Kommission als das eines ausbeuterischen und unterdrückenden Imperiums darstellen und darüber den politischen Sprengstoff anhäufen, der 1914 entscheidend zur Katastrophe beigetragen hat.”

    Über diese Interpretation lässt sich sicherlich streiten. Aber Münklers aktuellen Bezüge machen auf jeden Fall nachdenklich. Sein zwar nicht immer flüssig, aber verständlich geschriebenes Buch bringt dem Leser den Ersten Weltkrieg damit jedenfalls als modellhaftes politisches Geschehen nahe, das mehr als nur historische Aufmerksamkeit verdient. Wobei Münkler eher die großen Strategien und Zusammenhänge beleuchtet, die persönliche und individuelle Seite des Krieges aber nur streift.

    Der Krieg aus britischer Sicht

    Ganz anders handhabt das der amerikanische Journalist Adam Hochschild in seinem Buch “Der Große Krieg. Der Untergang des alten Europa im Ersten Weltkrieg”. Der Untertitel ist allerdings irreführend. Er sollte eher lauten “Der Niedergang des britischen Empire im Verlauf des Ersten Weltkriegs.” Hochschild selbst schreibt:

    “Gewöhnlich wird ein Krieg als ein Duell zweier Seiten beschrieben. Ich habe stattdessen versucht, ihn durch die Kämpfe innerhalb eines Staates, innerhalb Großbritanniens zu begreifen.”

    Hochschild hat zahlreiche Biografien britischer Sozialisten, Suffragetten, Generäle und einfacher Soldaten ausgewertet. Das Produkt liest sich fast wie ein historischer Roman, der einzelne Schicksale mit geschichtlichen Fakten verbindet. Hochschild geht die Kriegsjahre chronologisch durch, achtet dabei aber nicht auf historische Vollständigkeit. Wichtiger ist ihm, nachzuzeichnen, wie in Großbritannien manchmal quer durch die Familien Pazifisten und Bellizisten um Krieg und Frieden rangen. Ausführlich stellt er auch den Krieg des britischen Empire gegen die Buren vor 1914 dar, um zu zeigen, wie bereits hier humanistische und aggressiv-imperialistische Kräfte aufeinanderstießen. Hochschilds Verdienst liegt vor allem darin, den britischen Kriegsgegnern ein Denkmal zu setzen, ohne dabei unkritisch zu sein. Und zu zeigen, wie der Krieg immer wieder unbeabsichtigte, aber folgenreiche Nebenwirkungen hervorbringt. Etwa am Beispiel des britischen Staatsmanns Sir Alfred Milner.

    “Paradoxerweise machte der Krieg, an dessen siegreicher Beendigung Milner wesentlichen Anteil hatte, einer anderen seiner Illusionen ein Ende, dem Traum von einem “Bund britischer Nationen” mit einem gemeinsamen Parlament und Kabinett. Als er diese Idee während des Kriegs bei einem Treffen vorgetragen hatte, war sie mit einem peinlichen Mangel an Begeisterung aufgenommen worden. Das entsetzliche Blutvergießen des Kriegs erwies sich als überraschend ausschlaggebend für die kanadischen und australischen Bestrebungen, ihre nationalen Identitäten scharf gegen die Großbritanniens abzugrenzen. In beiden Ländern galten die bittersten und traurigsten Kriegserinnerungen den Zehntausenden Landsleuten, die von unfähigen britischen Generälen geopfert wurden.”

    Herfried Münkler zeigt die innere Logik von Krieg und imperialer Machtpolitik, Adam Hochschild deren persönliche Kehrseite. Insofern liegen hier zwei Bücher vor, deren Bild des Ersten Weltkriegs sich bestens ergänzen.

    Herfried Münkler: “Der große Krieg. Die Welt 1914 -1918”, bei Rowohlt verlegt, die 924 Seiten kosten 29,95 Euro.

    Adam Hochschild: “Der große Krieg. Der Untergang des alten Europa im Ersten Weltkrieg”, dieser Titel ist bei Klett-Cotta erschienen, füllt 525 Seiten und ist für 26,95 Euro zu erstehen.

  • http://www.deutschlandfunk.de/der-erste-weltkrieg-rueckblick-auf-ein-feld-politischen.1310.de.html?dram:article_id=271566
  • Adam Hochschild: Der Große KriegDie tödliche Arroganz der Kavallerie

    Der Niedergang Europas aus Sicht des British Empire: Adam Hochschild hat versucht, eine Gegengeschichte des Ersten Weltkriegs zu schreiben. Herausgekommen ist eine Art historischer Roman – kein schlechter.

    06.10.2013, von GERD KRUMEICH

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    Adam Hochschild ist ein amerikanischer Journalist und Historiker, der in Deutschland vor allem durch seine Bücher über die Ausrottungspolitik im belgischen Kongo sowie über den Kampf um die Abschaffung der Sklaverei bekannt und geachtet ist. Nun erscheint pünktlich zum Jahrhundertereignis seine Geschichte des Ersten Weltkrieges, deren Originalversion 2011 unter dem Titel „To End all Wars. A Story of Loyalty and Rebellion 1914-1918“ erschienen ist. Der deutsche Titel stellt eine Irreführung des Lesers dar, denn dieser muss ja glauben, eine Überblicksgeschichte des Ersten Weltkrieges zu erhalten.

    Selbstverständlich erfährt man auch hier in oft äußerst detaillierter Form vieles aus den Schlachten und politischen Ereignissen des Krieges, aber „Der Untergang des alten Europa“ ist in dieser Form wirklich nicht erkennbar. Dazu ist das Buch für den unvorbereiteten Leser zu sehr aus britischer Perspektive geschrieben. Die Geschichte des Empire, seiner Entwicklung und seines Niedergangs, spielt eine dominierende Rolle. Hinzu kommt noch ein „typisch britisches“ Strukturelement, nämlich die Verzahnung von individuellen Schicksalen, sozialen Gruppen und Klassen mit der politischen und militärischen Geschichte.

    Griff nach zuverlässigen Quellen

    Wir kennen in Deutschland diesen Stil der Geschichtsschreibung nicht, weil sich für uns der Bogen nicht mehr so spannt zwischen der Geschichte des erlebten Krieges, des erinnerten Krieges und des auch für die heutige Identität jedes Einzelnen noch irgendwie gestaltenden Krieges. Das war der Erste Weltkrieg für Briten, Franzosen, Amerikaner, aber nicht mehr für diejenigen, die ihn verloren haben und deren Imperien verschwunden sind. Eine sehr „britische“ Geschichte also, die den deutschen Leser vor einige Herausforderungen stellt. Die anspruchslose und leider holprige Übersetzung erleichtert die Lektüre nicht gerade.

    Die Quellen von Hochschilds Erzählung sind zumeist zuverlässige und international akzeptierte Autoren, wie etwa Barbara Tuchman, deren Buch „August 1914“ eine sichere Leitschnur ist. Auch „Facing Armageddon“ von Hugh Cecil und Peter Liddle sowie David Fromkins in Deutschland ebenfalls beachtetes „Europas letzter Sommer“ werden immer wieder als Quelle genannt. Die Erzählung basiert dazu auf einer Reihe von Personalquellen in verschiedenen Nachlässen, etwa dem Nachlass von Charlotte Despard.

    Auf den Spuren eines Arbeiterhelden

    Charlotte Despard? Das ist eine in England und Irland sehr bekannte Frau aus einfachen Verhältnissen, die durch Heirat in ein wohlhabendes bürgerliches Milieu gelangte und sich gleichwohl mit größter Energie um das Schicksal der ärmsten Ausgebeuteten vor allem irischer Herkunft in Battersea, dem Londoner Ruhrgebiet, kümmerte. Nicht weniger als vier Seiten werden ihr im ersten Kapitel gewidmet, ihre gesellschafts- und kriegskritischen Aktivitäten während des Krieges sind ein roter Faden der Erzählung.

    Oder Keir Hardie, der große Führer der britischen Arbeiter, einem Bebel oder Jaurès vergleichbar, dessen erbittertem und verzweifeltem Kampf gegen den Krieg vor und nach 1914 in allen Einzelheiten nachgegangen wird. Ein ganzes Kapitel wird allein dieser Persönlichkeit gewidmet, deren Engagement so detailliert und liebevoll beschrieben wird, dass dahinter schließlich der gesamte Kampf der Zweiten Internationale gegen den Krieg geradezu ins Dunkel gerät. Pars pro toto? Daran mag man bei einer solchen Ungleichgewichtigkeit zweifeln. Aber es lohnt sich, den Schicksalen dieser britischen Helden des Klassenkampfes und der Antikriegsbewegung nachzugehen.

    Hochschild will, wie er im Prolog sagt, eine Geschichte der Verweigerung dieses wahnsinnigen Krieges schreiben. Aus den über den Text verstreuten biographischen Skizzen von Arbeiterführern, Generalen, Politikern und Schriftstellern soll sich die ganze Geschichte des Großen Krieges erschließen. Hochschild gesteht gleich zu, dass man auf diese Weise eigentlich eher einen Roman schreiben könnte, will uns dann mit folgendem leicht enigmatischen Hinweis beruhigen: „Die Geschichte bietet uns, von Nahem betrachtet, stets Menschen, Ereignisse und moralische Versuchsfelder, wie sie sonst nur von den bedeutendsten Schriftstellern erdacht werden können.“

    Am besten also, wenn der Historiker selbst ein „bedeutender Schriftsteller“ ist. Hochschild kann wirklich gut und fesselnd schreiben, und wenn man sich ganz auf seine auf Großbritannien zentrierte Sicht des Krieges einlassen will, dann ist dieses Buch eine intensive Lektüre wert.

    Die Brutalität der britischen Militärs

    So wird in dem mehr als einhundert Seiten langen Teil über die Vorgeschichte des Krieges ganz besonders die Karriere einiger im Krieg bestimmender Militärs beschrieben, nämlich John French und Douglas Haig, deren Aufstieg in den Kolonialkriegen ausführlich dargestellt wird. Aus der Kavallerie stammend, sahen sie den Krieg als ein kavalleristisches Abenteuer an und ließen sich durch die Evidenz Tausender Pferdekadaver vor den Maschinengewehrstellungen nicht davon abbringen. Haig war überzeugt, dass ein heranpreschender Kavallerist „die Nerven und Zielsicherheit eines MG-Schützen entscheidend beeinträchtige“, und äußerte gelegentlich, dass die kleine Kugel der heutigen Gewehre „ein Pferd kaum aufzuhalten vermag“.

    Die Arroganz der britischen Militärs, ihre imperialistische Brutalität, hat Hochschild ganz besonders ins Visier genommen – wie schon in seinen früheren Büchern. Das zeigt sich in der ausführlichen Beschreibung des Burenkrieges, mit den entsetzlichen Konzentrationslagern, in welche die rebellische Bevölkerung gnadenlos eingepfercht wurde. Und wo als ein wirklicher Lichtblick die Gestalt von Emily Hobhouse auftaucht, deren Leben und Leiden vor und im Krieg ein weiterer roter Faden des Buches bleibt. Hobhouse, aus vornehmen Stand, organisierte auf ungeheuer couragierte Weise die Hilfe für die unterdrückten Buren.

    Zur Funktion des Stacheldrahts

    Die Geschichte des Ersten Weltkrieges wird in fünf Kapiteln erzählt – eines für jedes Kriegsjahr, wo die heldischen und kriegerischen Persönlichkeiten mit den Kriegsereignissen munter durcheinandergewirbelt werden. Das bleibt immer interessant, wenn man diese Art von Erzählung schätzt, kann aber in keiner Weise den Anspruch erfüllen, eine Geschichte des Ersten Weltkrieges zu sein: Für die Marneschlacht hat Hochschild gerade einmal vier Zeilen übrig, und über Tannenberg erfährt man auf anekdotische Weise, wie die kampfunfähigen und verlumpten russischen Soldaten von betrunkenen und fetten Generalen in die Niederlage geführt wurden. Ludendorff und Hindenburg spielen dabei keine nennenswerte Rolle; Langemarck ist nahezu zur Karikatur vereinfacht. Verdun spielt kaum eine Rolle, weil es dort keine Briten gab. Dafür ist die Somme-Schlacht großartig intensiv geschildert – sie war ja auch das Menetekel der britischen Armee.

    Wenn also die Geschichte der Schlachten und der Kriegspolitik frustrierend einseitig bleibt, so gibt es zwischendurch immer wieder überzeugende und sonst kaum einmal so dicht erzählte Darstellungen, etwa wie sich die Heere im Spätherbst 1914 einbuddeln mussten oder welche Rolle der Stacheldraht im gesamten Krieg gespielt hat. Irgendwie ist dann doch das gesamte alte Europa in diesem Krieg zugrunde gegangen, aber das steht vor allem im deutschen Titel und betrifft die Erzählung eher am Rande.

    http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/buecher/rezensionen/sachbuch/adam-hochschild-der-grosse-krieg-die-toedliche-arroganz-der-kavallerie-12599641-p2.html

Harry Truman erklärte am Tag der deutschen Invasion in Russland: “Damit sie gegenseitig so viele Menschen (Deutsche und Russen) wie möglich umbringen”….Der US-Amerikaner, William Blum, verdeutlicht die Denkweise der US-Elite!

12 Monday May 2014

Posted by wirwollenkeinenkrieg in Aus der Geschichte lernen, Deutschland, Russland, USA

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Der US-Amerikaner, William Blum macht uns die dominierenden Prinzipien der US-amerikanischen Außenpolitik deutlich in seinem Buch: “Zerstörung der Hoffnung”. Angesichts der Ereignisse in der Ukraine ist es hochaktuell. Die Ukraine-Politik der USA richtet sich nicht nur gegen Russland und die Ukraine, sondern auch gegen Westeuropa und Deutschland, eine gegenseitige Schwächung von möglichen ernsten Konkurrenten ist das Ziel.

So sah das schon der US-Präsident Harry Truman, wie Blum uns aufdeckt:

Als die Deutschen in Russland einmarschierten, sagte der spätere US-Präsident.

“Wenn wir sehen, dass Deutschland am Gewinnen ist, müssen wir Russland helfen, und wenn Russland am Gewinnen ist, müssen wir Deutschland helfen, damit sie gegenseitig so viele Menschen wie möglich umbringen, obwohl ich unter keinen Umständen sehen möchte, dass Hitler den Sieg davonträgt.”

Zerstörung der Hoffnung, Zambon, 2014, Seite 15.

Blum hatte seine Arbeit im Außenministerium der USA aufgegeben, als ihm klar wurde, welche Ziele es verfolgt, und untersucht seither die US-Außenpolitik und versucht die Welt darüber zu informieren!

Das sind sicher nicht die einzigen Prinzipien: Für eine andere Außenpolitik stand der US-Vizepräsident Henry Wallace, der nach dem zweiten Weltkrieg kein amerikanisches, sondern ein Jahrhundert des Kleinen Mannes wollte, aber er wurde gestürzt und durch Trumann 1944 ersetzt, der dann den Marsch in den Kalten Krieg organisierte.

140 Divisionen überfielen am 22. Juni 1941 die Sowjetunion

“Selbsternannt” meint nach den Medien, nicht von der Nato oder mit ihrem Segen ernannt! Also illegal! Denn die verfassungswidrige pro-West-Regierung ist legal, obwohl sie nicht gewählt wurde, die nicht pro-West-Regierungen sind illegal, obwohl auch nicht verfassungsmäßig. Als die legale -nicht einseitig prowestliche – Regierung gewaltsam vorging, war das Terror, Gewalt gegen ihre Polizei demokratisch legitim! Wenn die illegale Regierung mit Panzern Proteste angreift, stellt sie nur die Ordnung im Land her und wird unterstützt! So weit ist es mit dem deutschen Journalismus und der deutschen und westlichen Politik gekommen, jedes Maß von Objektivität ist weg! Wir müssen uns alternativ vernetzen, um noch etwas Wahres erfahren zu können. Wenn unsere deutsche Regierung das Schmierentheater einmal nicht mitmacht, und eine selbsternannte Position einnimmt, wird sie von der selbsternannten Supermacht bedroht, wie vor dem Irakkrieg: “Ich denke, Libyen, Kuba und Deutschland sind diejenigen, die angedeutet haben, sie würden in keiner Beziehung helfen.” Die Bundesregierung wollte Rumsfelds Vergleich Deutschlands mit dem “Schurkenstaat” Libyen gestern nicht kommentieren. Coats stellte klar, in den USA gebe es “ernste Zweifel, ob Deutschland noch ein verlässlicher Partner ist”. CDU-Chefin Angela Merkel appellierte an Kanzler Gerhard Schröder, seine Anti-Kriegshaltung zu überdenken.

12 Monday May 2014

Posted by wirwollenkeinenkrieg in Aus der Geschichte lernen, Kriegsvorbereitung, Kulturelle Beiträge

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„Pressefreiheit ist die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten.“

Paul Sethe, einer der Herausgeber der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, über eine Klasse, der er selbst angehört: Verleger und Chefredakteure, die dafür bezahlt werden, die Meinung ihrer Verleger zu verbreiten.

Die Finanzelite beherrscht über den Staatsapparat der USA und sein Militär die Welt und legt die Regeln fest, die dazu geführt haben, dass in einer Welt mit Armut und Hunger und immer mehr sozialer Unsicherheit die Milliardäre in den vergangenen Jahren ihr Vermögen verdoppeln konnten. Zu diesen vor allem bei den großen US-Finanzhäusern sind Milliardäre aus der ganzen Welt investiert, deren Interessen in den Finanzhäusern vereinheitlicht und umgesetzt werden. Konkurrierende politische Mächte, die sich dem Diktat nicht fügen wollen, wie Iran, Russland, China stören und sind Schurkenstaaten, die in die Knie gezwungen werden müssen, ebenso wie Europa, das immerhin das Potential haben könnte, eigene Interessen für ihre Bürger erheben zu können. Als Deutschland beim Irakkrieg nicht gleich spurte, zückte Rumsfeld gleich die Gelbe Karte und rückte es in die Nähe eines Schurkenstaates.

http://www.handelsblatt.com/archiv/verteidigungsminister-rumsfeld-vergleicht-bundesrepublik-mit-schurkenstaat-usa-stellen-deutschland-an-den-pranger/2225212.html

VERTEIDIGUNGSMINISTER RUMSFELD VERGLEICHT BUNDESREPUBLIK MIT SCHURKENSTAATUSA stellen Deutschland an den Pranger

07.02.2003, 07:26 Uhr

Die deutsch-amerikanischen Beziehungen haben einen neuen Tiefpunkt erreicht. US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld stellte Deutschland an den Pranger und sagte vor dem US-Kongress, bei einem militärischen Angriff gegen den Irak und dem später notwendigen Wiederaufbau würden “drei oder vier Länder” den USA nicht helfen.

bac/HB WASHINGTON. “Ich denke, Libyen, Kuba und Deutschland sind diejenigen, die angedeutet haben, sie würden in keiner Beziehung helfen.” Die Bundesregierung wollte Rumsfelds Vergleich Deutschlands mit dem “Schurkenstaat” Libyen gestern nicht kommentieren.

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Der Streit über einen Krieg im Irak dürfte auch die am Freitag beginnende Münchener Konferenz für Sicherheitspolitik beherrschen. Bei dem hochkarätig besetzten Treffen wird ein offener Meinungsaustausch zwischen Rumsfeld und Außenminister Joschka Fischer erwartet. Rumsfeld will auch zu einem Vier-Augen-Gespräch mit Verteidigungsminister Peter Struck zusammentreffen. Die Konferenz findet unter schärfsten Sicherheitsvorkehrungen statt.

Rumsfelds Berater Richard Perle unterstützte die Kritik des US-Verteidigungsministers. Im Irak-Konflikt “spielen die Deutschen keine Rolle mehr”, sagte er dem Handelsblatt. Eine Verbesserung des deutsch-amerikanischen Verhältnisses wäre nur “mit einer neuen Bundesregierung möglich”. Mit der amtierenden Regierung “ist eine Reparatur des Schadens unwahrscheinlich”, sagte Perle. Dagegen versuchte der US-Botschafter in Berlin, Dan Coats, Rumsfelds Äußerung zu relativieren. Der Verteidigungsminister spreche nicht für die ganze US-Regierung, sagte Coats. Rumsfeld habe nur darauf hinweisen wollen, “dass Europa nicht nur vertreten wird durch die Ansichten von Frankreich und Deutschland”. Zugleich stellte Coats aber klar, in den USA gebe es “ernste Zweifel, ob Deutschland noch ein verlässlicher Partner ist”. CDU-Chefin Angela Merkel appellierte an Kanzler Gerhard Schröder, seine Anti-Kriegshaltung zu überdenken.

Vorkriegzeit 1914: Karl Liebknecht warnte im Mai im Reichstag vor dem großen Krieg und der Rolle der Rüstungsindustrie als treibender Kraft der Spannungen! Er reiste in den kommenden Monaten in andere Länder und traf dort Gegner des Krieges, um zu verabreden, wie der Krieg verhindert werden kann!

12 Monday May 2014

Posted by wirwollenkeinenkrieg in Aus der Geschichte lernen, Frieden schaffen, Friedensbewegung und Friedensaktivisten, Widerstand gegen den Krieg

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Kohlezeichnung von Karl Liebknecht

Der Jurist und Politiker Karl Liebknecht nach einer Kohlezeichnung von Gerhard Augst. (picture-alliance / dpa)

Als Vertreter des linksrevolutionären SPD-Flügels kritisierte Karl Liebknecht 1914 nur wenige Monate vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs die europäische Rüstungsindustrie im Deutschen Reichstag. Bereits ein Jahr zuvor hatte er die Aufstockung der Armee angeprangert und den Korruptionsskandal “Kornwalzer” bei der Firma Krupp publik gemacht.

Musik Hannes Wader

Auf, auf zum Kampf zum Kampf
Zum Kampf sind wir geboren
Auf, auf zum Kampf zum Kampf
Zum Kampf sind wir bereit
Dem Karl Liebknecht dem haben wirs geschworen
Der Rosa Luxemburg reichen wir die Hand
Dem Karl Liebknecht dem haben wirs geschworen
Der Rosa Luxemburg reichen wir die Hand

Karl Liebknecht, Märtyrer des linken Flügels der deutschen Arbeiterbewegung; 1919 während des Berliner Januaraufstandes gemeinsam mit Rosa Luxemburg ermordet von gegenrevolutionären Truppen. Am 11. Mai 1914, knapp drei Monate vor Beginn des Ersten Weltkrieges, stand dieser sozialdemokratische Politiker, Sohn des SPD-Gründers Wilhelm Liebknecht, am Rednerpult des Reichstags und attackierte die europäische Rüstungsindustrie als Hauptgegner des friedlichen Proletariats:

“Dieser Kampf wird von der internationalen Sozialdemokratie in allen Ländern zugleich geführt, in England, in Frankreich, überall wo wir Einfluß haben, mit der gleichen Energie. Wir wissen, daß das Übel nicht in Deutschland allein sitzt, sondern überall. Wir bekämpfen deshalb den internationalen Kriegstrust, und wir wissen genau, daß es uns gelingen wird, mit dieser Korruption fertig zu werden.”

Der promovierte Jurist Karl Liebknecht, Rechtsanwalt von Beruf, vertrat seit 1912 den Wahlkreis Potsdam im Reichstag. Zuvor hatte der Sozialdemokrat sich als Kritiker des preußisch-deutschen Militarismus einen Namen gemacht. Seine Schrift “Militarismus und Antimilitarismus” trug ihm 1907 anderthalb Jahre Festungshaft ein – wegen Hochverrats. Auch im Parlament, wo die Sozialdemokraten noch vor dem katholischen Zentrum und den Nationalliberalen die stärkste Fraktion stellten, geißelte er das Militär: Misshandlung von Soldaten, übertriebener Drill, Ausschluss von Juden und Sozialdemokraten aus dem Offizierskorps. Dazu die Hochrüstungspolitik der Reichsregierung, die Frankreich, England und Russland zu einem gefährlichen Wettlauf trieb.

Der Korruptionsskandal “Kornwalzer”

Schon 1913 hatte Liebknecht in der Debatte über den Milliardenetat des Kriegsministeriums – die Präsenz der Armee wurde um 235.000 Mann erhöht – einen Korruptionsskandal publik gemacht: den Fall “Kornwalzer”. Unter diesem Decknamen liefen bei der Firma Krupp die Aktivitäten eines Büros in Berlin, das Verbindung zu den Beschaffungsstellen von Armee und Marine hielt. – Karl Liebknecht im Reichstag:

“Die berühmte Firma nutzt ihre Geldmacht systematisch dazu aus, um höhere und niedere preußische Beamte zum Verrat militärischer Geheimnisse zu verleiten.”

Es folgten Gerichtsverfahren, bei denen einige Beamte verurteilt wurden. Liebknecht aber kam es darauf an, die europäische Rüstungsindustrie insgesamt anzuprangern: Krupp, Schneider-Le Ceusot, Vickers-Armstrong:

“Meine Herren (…): Das sind dieselben Kreise, die die Zwietracht der Völker zu Gold münzen. Ob sie in Deutschland oder in Frankreich sind, sie haben die gleichen Interessen.”

Die Etatdebatte vom Mai 1914 nutzte Karl Liebknecht erneut, um die internationalen Verflechtungen des militärisch-industriellen Komplexes aufzuzeigen. Nicht die von den Herrschenden als “vaterlandslos” diskreditierte Sozialdemokratie war unpatriotisch, sondern das in den Großbanken, Kartellen und Rüstungsfirmen konzentrierte Kapital. – Karl Liebknecht in den Notizen zu seiner Rede:

“Man darf von der Krähe keinen Nachtigallenschlag erwarten; sie sind eben nichts als gewöhnliche Landsknechte, Condottieri des Profits.”

Liebknecht präsentierte im Reichstag ein reiches Detailwissen über die Verflechtung von Werften, Waffen- und Munitionsfabriken, von optischer und chemischer Industrie. Die Reichsregierung und das bürgerliche Lager kanzelten den sozialdemokratischen Warner vor Aufrüstung und Kriegsfahr als Handlanger fremder Mächte ab. – Der Zentrumsabgeordnete Matthias Erzberger am 11. Mai 1914:

“Deutsche angesehene Parteiblätter (…) sprechen es offen aus: den ganzen Gewinn von der liebknechtschen Attacke wird die französische Rüstungsindustrie haben.”

Keine drei Monate später begann im hochgerüsteten Europa der Erste Weltkrieg. Die von Liebknecht beschworene Solidarität der friedlichen Arbeiterparteien des Kontinents ging unter im Taumel der Mobilmachungen. Selbst Liebknecht beugte sich zunächst der Parteidisziplin und billigte mit der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion die Kriegskredite. Im Dezember 1914, als über die nächste Tranche abgestimmt wurde, sagte er: Nein. Es war der Beginn der Spaltung der deutschen Arbeiterbewegung.

http://www.deutschlandfunk.de/karl-liebknecht-kritik-an-europaeischer-ruestungsindustrie.871.de.html?dram:article_id=284655

Eine Jahrhundertrede

Karl Liebknechts Anklage gegen den Militarismus vor dem Deutschen Reichstag am 11. Mai 1914

Von Reiner Zilkenat
Karl Liebknecht enthüllt mit aus dem Krupp-Büro beschl
Karl Liebknecht enthüllt mit aus dem Krupp-Büro beschlagnahmten Unterlagen die Verbindungen deutscher, österreichischer, ­französischer und russischer Waffenproduzenten (Aufnahme von 1915 vor dem Reichstag)
Foto: jW-Archiv

Im Plenum des Reichstages herrscht am 11. Mai 1914 große Aufregung. Der sozialdemokratische Abgeordnete des Wahlkreises Potsdam-Spandau-Osthavelland, Dr. Karl Liebknecht, immer wieder von Zwischenrufen aus den Reihen der bürgerlichen Fraktionen und vom Präsidenten mit Ordnungsrufen unterbrochen, steht am Rednerpult und rechnet mit dem herrschenden Militarismus ab. Genauer gesagt: Er legt das System der Bereicherung der Rüstungskonzerne offen. Er beschreibt faktenreich die Symbiose des Staatsapparats mit den an der Produktion von Kriegsgerät beteiligten Unternehmen. Er nennt Namen und Adressen und weist die um sich greifende Korruption bei der Auftragserteilung durch Behörden nach. Nicht zuletzt analysiert er die grenzüberschreitenden Aktivitäten deutscher Rüstungsfirmen. Es entsteht das plastische Bild einer – wie es Liebknecht formuliert – »internationalen Räuberbande«.

Im Mittelpunkt seiner Ausführungen stehen die dubiosen Machenschaften des Krupp-Konzerns. Dieses Thema hat eine besondere Brisanz, weil der Inhaber des Unternehmens, Gustav Krupp von Bohlen und Halbach, der reichste Mann in Preußen, zu den engsten Vertrauten Kaiser Wilhelms II. gehört. Die Allianz zwischen dem Monarchen und dem »Kanonenkönig« ist besonders eng, seit 1897/1898 mit der Realisierung groß angelegter Pläne für die Kriegsmarine begonnen wurde. Diese maritime Aufrüstung, die ein bis dahin beispielloses Wettrüsten zwischen Deutschland und England auslöste, ist ein spezielles Anliegen des Kaisers. Wie kein anderes Unternehmen verdient die Waffenschmiede an Rhein und Ruhr am Bau der neuen Kriegsschiffe.

Zum Beispiel hatte die Firma Krupp im Jahre 1900 erst dann ihre exorbitanten Preise für Panzerplatten reduziert, als sie im Gegenzug vom Reichsmarineamt die Zusicherung bekam, daß die neu projektierten Schlachtschiffe auf der zum Hause Krupp gehörenden Germaniawerft in Kiel gebaut werden würden. Zur gleichen Zeit beginnt das Unternehmen mit der heimlichen Finanzierung des von ihm geschaffenen »Deutschen Flotten-Vereins«, der sich zu einer Massenorganisation entwickelt, die für die notwendige Propaganda zugunsten der forcierten Aufrüstung zu sorgen hat. An die Spitze dieses Verbandes lanciert Krupp Personen seines Vertrauens. Zugleich bleibt das Unternehmen der traditionell wichtigste Hersteller zahlreicher Waffensysteme und anderen Kriegsgerätes für die preußisch-deutsche Armee, speziell für die Artillerie.

Bericht des Oberstaatsanwalts

Liebknecht weist in seiner Rede nach, daß ehemals hohe Beamte und Offiziere in Diensten der Firma Krupp stehen und einen reibungslosen Informationsaustausch über neugeplante Rüstungsprojekte zwischen Berlin und Essen gewährleisten. Beispielhaft nennt er u.a. Alfred Hugenberg, ehemals Vortragender Rat im Preußischen Finanzministerium, jetzt Vorsitzender des Direktoriums des Konzerns; Vizeadmiral a.D. Hans Sack, ehemals Dezernent im Reichsmarineamt und dort mitverantwortlich für die Vergabe von Aufträgen an die Industrie, jetzt Mitglied des Aufsichtsrats; schließlich den ehemaligen Dezernenten im Preußischen Kriegsministerium, Draeger, jetzt Direktor bei Krupp.

Doch damit nicht genug. Um stets und unverzüglich aus erster Hand informiert zu sein, unterhält die Firma Krupp in Berlin ein eigenständiges Büro – mit den Worten Karl Liebknechts »eine Bestechungsfabrik«. In deren Tresoren kann die ermittelnde Staatsanwaltschaft 750 als geheim klassifizierte Aktenstücke aus den Jahren 1910 bis 1912 beschlagnahmen, die aus der Militärverwaltung stammen. Daß die Strafverfolgungsbehörden überhaupt, wenn auch widerstrebend, tätig werden mußten, liegt nicht zuletzt in entsprechenden Enthüllungen Liebknechts über die Korruption in der Militärverwaltung begründet.

Liebknecht zitiert vor dem Reichstag aus dem Bericht des zuständigen Oberstaatsanwalts: »Das ganze Material ist eine Übersicht über die gesamte Tätigkeit des Kriegsministeriums, der Feldzeugmeisterei und der Artillerieprüfungskommission. Die Firma Krupp war über die Lage des ganzen artilleristischen Geschäftsbetriebes auf dem Gebiete der Beschaffung von artilleristischem Material so eingehend unterrichtet, wie es nur irgend gewünscht werden kann.« Die Strafen für die der Korruption und des Geheimnisverrats überführten Offiziere und Beamten waren z.T. lächerlich gering. Sie bestanden vor allem in »Festungshaft«, so daß die betroffenen Militärangehörigen ihren Dienstrang behalten, sich relativ frei bewegen konnten und pensionsberechtigt blieben.

Deutsche Waffen in aller Welt

Das deutsche Kaiserreich ist ungeachtet seiner profitablen Hochrüstungspolitik für das Haus Krupp längst zu klein geworden. Liebknecht listet auf, wer inzwischen von seinem Knowhow und seiner Waffenproduktion außerhalb der Grenzen Deutschlands profitiert und wie das Unternehmen mit anderen Rüstungsschmieden in Europa verflochten ist.

Zum Beispiel seien die in Pilsen liegenden Skoda-Werke ein enger Partner Krupps. Neben einer Kapitalbeteiligung an dieser größten Waffenschmiede der österreichisch-ungarischen Monarchie existierte ein reger Austausch von Patenten. Besonders pikant werde die Allianz mit Skoda dadurch, daß diese Firma seit Anfang 1914 auch mit Großunternehmen aus potentiellen »Feindstaaten«, den russischen Putilow-Werken und Schneider-Creuzot aus Frankreich, in engste Geschäftsbeziehungen getreten sei. Die Putilow-Werke ihrerseits produzierten seit neuestem Kanonen mit Hilfe von Krupp-Tiegelstahl. Daß diese Kanonen im Ersten Weltkrieg auf deutsche Soldaten gerichtet sein werden, sei nur am Rande erwähnt. »Wir stehen hier«, so kommentiert Liebknecht diese Sachverhalte, »vor einer Kanoneninternationale in Reinkultur«.

Neben Krupp geraten die Aktivitäten weiterer Konzerne der deutschen Rüstungsindustrie in das Blickfeld Liebknechts: so z. B. die Firma Siemens und Schuckert, die Deutsche Waffen- und Munitionsfabrik in Berlin, die Daimler-Motorenwerke, die Alfred-Nobel-Werke, die Deutsche Sprengstoff AG, die Firma Goerz und der Loewe-Konzern. Dieses Unternehmen ist weltweit mit der Produktion bzw. dem Export von Waffen verschiedenster Art befaßt. Seine Bedeutung resultiert nicht zuletzt aus der Finanzkraft von dessen Hausbank, der Disconto-Gesellschaft, die eine – für damalige Verhältnisse – riesenhafte Bilanzsumme von 300 Millionen Mark aufweist. »Die Firmen dieses Konzerns«, so Liebknecht, »haben den ganzen Erdball in Interessenssphären zur Exploitation unter sich geteilt, um Geld zu münzen aus dem Völkermord, aus der Zwietracht der Völker.«

Ebenso wie bei Krupp tummeln sich ehemalige hohe Beamte und Offiziere in leitenden Positionen der Firma Goerz. Liebknecht nennt u.a. den Generalleutnant von Nieber, Mitglied des Aufsichtsrats. Das Unternehmen, das enge Geschäftsbeziehungen zur Firma Krupp unterhalte, verfügt über Tochterunternehmen in Österreich und England sowie mehrere Fabriken und Verkaufsgesellschaften in Rußland und Frankreich.

Kauf am Kiosk!

Mit dem Wissen, daß nur wenige Monate nach der Reichstagsrede Liebknechts der Erste Weltkrieg entfesselt wird, bekommt ein von ihm angesprochenes Geschäft eine besondere Note: die Deutsche Waffen- und Munitionsfabrik habe zusammen mit dem österreichischen Unternehmen Steyr nicht weniger als 200000 Gewehre an Serbien geliefert, »also an den größten politischen Erbfeind Österreichs, unseres Verbündeten«. Wen möchte es da noch wundern, daß die Augsburger Maschinenfabrik (MAN) Motoren für den Antrieb der französischen U-Boote liefere? Im Angesicht des von ihm unterbreiteten und analysierten Materials gelangt Liebknecht zu der treffenden Schlußfolgerung, daß »Deutschland ein Weltversorger mit Kriegsmaterial ist«.

Ein General als Titelhändler

Während Krupps Waffen denen des Gegners überlegen sein
Während Krupps Waffen denen des Gegners überlegen sein sollen, verschweigt die Postkarte der Bevölkerung, daß die Firma mit dem ­französischen Rüstungsunternehmen Creuzot engste Geschäftsbeziehungen führte (Pos
Foto: picture alliance akg-images

Besonders peinlich ist den Vertretern der bürgerlichen Parteien im Reichstag, vor allem aber dem im Plenum anwesenden Abteilungschef im Preußischen Kriegsministerium, Generalmajor Adolf Wild von Hohenborn, ein nur scheinbar nebensächliches Thema, das Liebknecht im Zusammenhang mit der um sich greifenden Korruption anspricht. Es wirft ein bezeichnendes Licht auf die Geisteshaltung der herrschenden Eliten und des Bürgertums und demaskiert ihre immer wieder vorgetragene, scheinheilige Überzeugung, »leistungsstärker« und »leistungsorientierter« als die Masse der Bevölkerung zu sein, als hohle Phrase.

Es geht um den schwunghaften Ämter- und Titelhandel, an dem einer der führenden Militärs, der jüngst verstorbene Generalleutnant von Lindenau, führend beteiligt war. Besonders pikant wird die ganze Angelegenheit dadurch, daß dieser Offizier von Kaiser Wilhelm II. hoch geschätzt wurde und er als Befehlshaber einer Infanteriedivision ein exponiertes Kommando inne hatte.

Der amtierende Reichstagspräsident will unter allen Umständen verhindern, daß dieses Thema zur Sprache kommt. Mit dem Hinweis, daß in Reichstagsdebatten über Tote nicht gesprochen werden solle, will er dem Sozialdemokraten mehrfach das Wort abschneiden. Doch der läßt sich nicht einschüchtern, auch nicht durch die zahlreichen Zwischenrufe.

Worum ging es? General von Lindenau hat z.B. promovierten Akademikern die Möglichkeit zum käuflichen Erwerb eines Professorentitels geboten. Dabei gab es zwei Varianten. Zum einen konnte eine solche Professur an einer Universität außerhalb Preußens erworben werden, zum anderen in Preußen selbst. Im ersteren Fall mußte der betreffende Herr allerdings einen Zusatz zu seinem Titel tragen: er nannte sich z.B. »Fürstlich Lippescher« oder »Herzoglich Sachsen-Altenburger Professor«. Das klingt nicht gut. Für eine »Berufung« innerhalb Preußens galt, daß zuvor ein wissenschaftlicher Zeitschriftenaufsatz, von dem ein Sonderdruck als selbständige Veröffentlichung anzufertigen ist, notwendig war. Besonders wichtig war dem verstorbenen General allerdings – wie Liebknecht nachweisen konnte – die Zahlung von 40000 Mark plus 1560 Mark »Vermittlungsspesen« an eine »gewisse Stelle«; für damalige Verhältnisse ein beträchtliches Vermögen. Die Honorierung erfolgte als »Bar- oder Zug-um-Zug-Geschäft«. Es erfordert nicht allzu große Phantasie, um zu erahnen, wer alles an den zu zahlenden Geldbeträgen partizipierte, die an General von Lindenau zu überweisen waren. Immerhin mußte in Preußen die Ernennungsurkunde vom Kultusminister persönlich unterzeichnet werden.

Nur wenige Tage nach seiner Reichstagsrede, am 20. Mai 1914, veröffentlicht Karl Liebknecht im Vorwärts einen »streng vertraulichen« Brief des offenbar als Nachfolger des Generals von Lindenau agierenden Dr. Franz Ludwig, in dem diese Machenschaften offengelegt werden. So beruhigte der Autor dieses Briefes potentielle »Professoren«, daß die Publikation eines Aufsatzes »nur Formsache« sei, »damit man sich darauf berufen kann, Sie haben etwas Wissenschaftliches veröffentlicht«. Bei Dr. Franz Ludwig handelte es sich – besonders peinlich für die Herrschenden – um den Geschäftsführer des »Reichsverbandes gegen die Sozialdemokratie«. Diese ungemein rührige Organisation überschwemmte das Land geradezu mit Hunderten Broschüren und Flugblättern gegen die »rote Gefahr«. An der Spitze stand der Generalleutnant der Infanterie und Reichstagsabgeordnete der »Freikonservativen Partei«, Eduard von Liebert. Dr. Ludwig selbst hatte sich u.a. als Autor der Schrift »Kommunismus, Anarchismus, Sozialismus« hervorgetan, die in hohen Auflagen vertrieben wird. Dieses Beispiel zeigt, daß Korruption, Durchstecherei und Titelhandel zu den Alltäglichkeiten im Kaiserreich zählten.

Mär: Rüstung schafft Arbeitsplätze

Karl Liebknecht hat es seinen Opponenten schwergemacht, die von ihm detailliert dargelegten Sachverhalte zu widerlegen. Deshalb versuchen vor allem der Abteilungsdirektor im Preußischen Kriegsministerium, Wild von Hohenborn, und der Zentrumsabgeordnete Matthias Erzberger, ein »Argument« in die Debatte einzubringen, das die grundlegende Kritik Liebknechts an der deutschen Rüstungsindustrie entkräften soll: Der SPD-Parlamentarier sei außerstande zu erkennen, daß dieser Wirtschaftszweig Tausenden deutscher Arbeiter Beschäftigungsmöglichkeiten biete.

Wild von Hohenborn stimmte in diesem Zusammenhang ein bis zum heutigen Tage von den Rüstungsindustriellen und ihren politischen Prokuristen bekanntes Lied an: »Der Herr Abgeordnete Liebknecht hat uns die alte Neuigkeit von neuem vorgeführt, daß Deutschland Waffen exportiere. Um wieviel dadurch das deutsche Nationalvermögen gestiegen ist, wieviel Arbeiter ihr Brot dadurch gefunden haben (Lebhafte Zurufe: ›Sehr richtig!‹), dafür hat er kein Wort gefunden (Lebhafter Beifall).« Und Erzberger sekundierte dem General eilfertig: »Von den Geldern, die von fremden Ländern nach Deutschland kommen, sind mindestens 60 bis 80 Prozent Arbeiterlöhne. Wenn diese Aufträge nicht kommen, dann ist Arbeiterentlassung die erste Folge der Liebknechtschen Agitation. Und die Rede des Abgeordneten Liebknecht wird wiederum eine gewaltige Schädigung unserer deutschen Volkswirtschaft und damit eine Schädigung unserer deutschen Arbeiter sein.« Am Ende leistete sich Erzberger noch den unfreiwillig komischen Ausruf, »daß die ganze Welt vor der Ehrlichkeit der deutschen Rüstungsindustrie den Hut zieht«. Woher der Abgeordnete Erzberger seine Kenntnis von dem angeblich 60 bis 80 Prozent ausmachenden Anteil der für deutsche Rüstungsexporte erzielten Einnahmen zugunsten der Arbeiterlöhne hat, kann er nicht erklären.

In einer Replik proklamiert Liebknecht das Ziel, »daß die Rüstungsindustrie vom Boden verschwindet« und fragt in diesem Zusammenhang: »Glauben Sie, daß die Leute, die bis dahin in der Rüstungsindustrie gearbeitet haben, von da an verhungern werden? Werden ihre Hände und Arbeitskräfte nicht für bessere Zwecke, für die Gesamtkultur nützlicher, verwendet werden?«

Realpolitik statt Antimilitarismus

Allerdings ist bei alledem zu beachten, daß mittlerweile innerhalb der Sozialdemokratie das »Arbeitsplatzargument« positive Resonanz gefunden hatte. Mehr noch: Auch die scheinbare Notwendigkeit für das deutsche Kaiserreich, in Konkurrenz zu den anderen Großmächten eine »Weltpolitik« zu treiben, neue Absatzgebiete zu erobern, weitere Kolonien zu erwerben und dadurch den Import und die Ausfuhren von Gütern auch zum angeblichen Nutzen der deutschen Arbeiterklasse zu sichern, fand in wachsendem Maße Eingang in die Spalten der Parteipresse. Die zutreffende Einschätzung Liebknechts in seiner Rede am 11. Mai 1914, »daß die auswärtiger Politik unserer jetzigen Epoche schon längst nicht mehr in den Auswärtigen Ämtern gemacht wird, sondern in den Fabrik- und Bankkontoren und daß ihre Mittel weit weniger diplomatische Noten als andere Noten sind«, geriet in zunehmenden Widerspruch zu den immer stärker den Ton angebenden revisionistischen Kräften innerhalb der Sozialdemokratie.

Natürlich wurden derartige Äußerungen von bürgerlichen Politikern wohlwollend kommentiert. Friedrich Naumann, einer der führenden Publizisten jener Jahre und zugleich Reichstagsabgeordneter der Freisinnigen Vereinigung, schrieb bereits im Mai 1899 in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift Die Hilfe, man müsse alles tun, um die revisionistischen Politiker in der SPD zu unterstützen. Die Partei solle »einen großen Teil unnützen Utopismus und Radikalismus« abstreifen. Und weiter: Es müßten von ihr »bestimmte nationalpolitische Aufgaben übernommen werden, aus einer reinen Protestpartei muß sich eine schaffende, staatserhaltende sozialistische Partei gestalten – nationaler Sozialismus auf freiheitlicher Grundlage«. Und Clemens von Delbrück, Vizekanzler von 1909 bis 1916, schrieb zur Strategie der Reichsregierung gegenüber der Sozialdemokratie während seiner Amtszeit: »Es handelte sich jetzt darum, die Partei zu zersetzen, nicht aber ihre auseinanderstrebenden Elemente durch eine Gewaltpolitik wieder zusammenzuschweißen. Nach diesen Richtlinien hat die Regierung innerhalb der Jahre 1909 bis 1913 gearbeitet.«

Zu den Exponenten derjenigen Kräfte innerhalb der SPD, die sich für eine Abkehr der Partei von der strikten Opposition gegenüber der Rüstungs- und »Weltpolitik«, gegen den Militarismus einsetzen, gehörte neben der Zeitschrift Sozialistische Monatshefte nicht zuletzt Gustav Noske, der »marinepolitische Sprecher« der Partei im Reichstag. Vieles von dem, was von den Revisionisten gesagt und geschrieben wurde, unterscheidet sich, wenn überhaupt, nur graduell von den bürgerlichen und regierungsamtlichen Verfechtern einer deutschen »Weltpolitik«.

Somit kämpfte Karl Liebknecht bald an zwei Fronten: gegen die Militaristen und Rüstungsindustriellen auf der einen und gegen die in den eigenen Reihen »Realpolitik« einfordernden Revisionisten auf der anderen Seite. Am Ende der Strategie seiner Genossen steht die Zustimmung zum Krieg. Ludwig Quessel, Redakteur der Sozialistischen Monatshefte, formulierte es paradigmatisch in der Ausgabe vom 13. August 1914 mit diesen vor Kriegsbegeisterung strotzenden Sätzen: »Ein furchtbares Schicksal droht der Nation. Von Ost, West und Nord stürmen die Feinde heran, sie niederzuwerfen. Was die Feinde Deutschlands planen, ist eine Versündigung an der Kultur und der Menschheit überhaupt, die nimmermehr so hoch hätte steigen können, wenn deutsche Geistesarbeit ihr nicht den Weg empor gebahnt hätte. Wer dieses Volk niederwerfen und für alle Zeiten ohnmächtig machen will, trachtet danach, alle menschlichen Zukunftshoffnungen zu vernichten.«

Angesichts der Zustimmung der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion zu den Kriegskrediten am 4. August 1914 und angesichts des Einschwenkens einer Mehrheit innerhalb der SPD-Führung auf den Kriegskurs der Reichsregierung verkündet der »Reichsverband gegen die Sozialdemokratie« am 29. August 1914, er stelle seine Tätigkeit wegen der positiven Haltung der SPD zum Krieg mit sofortiger Wirkung ein. Noch ein Vierteljahr zuvor hat die gleiche Organisation auf ihrer jährlichen Tagung festgestellt, die Sozialdemokratie lebe »mit uns im Kampf, und sie wird losschlagen, gerade so gut wie die Franzosen, sobald sie sich stark genug dazu fühlt«.

Was bleiben wird, ist Liebknechts brillante Analyse des militärisch-industriellen Komplexes im deutschen Kaiserreich am Vorabend des Ersten Weltkrieges. Sie bietet auch für die Gegenwart wichtige Lehren bei der systematischen Untersuchung des heutigen Militarismus.

Reiner Zilkenat schrieb zuletzt am 26.3.2014 auf diesen Seiten über eine Tagung des Reichsverbands der Deutschen Industrie und der Unternehmerverbände im März 1924.

http://www.jungewelt.de/2014/05-10/048.php

Erster Weltkrieg[Bearbeiten]

Sophie und Karl Liebknecht 1913, mit den Kindern aus seiner ersten Ehe

In der ersten Julihälfte 1914 war Liebknecht nach Belgien und Frankreich gereist, mit Jean Longuet und Jean Jaurèszusammengetroffen und hatte auf mehreren Veranstaltungen gesprochen. Den französischen Nationalfeiertag verbrachte er in Paris. Über die unmittelbare Gefahr eines großen europäischen Krieges wurde er sich erst am 23. Juli – nach Bekanntwerden des österreichisch-ungarischen Ultimatums an Serbien (vgl.Julikrise) – völlig klar. Ende Juli kehrte er über die Schweiz nach Deutschland zurück.[15] Als der Reichstag am 1. August, dem Tag der Verkündung der Mobilmachung und der Kriegserklärung an Russland, zum 4. August zusammengerufen wurde, stand für Liebknecht noch außer Frage, dass „die Ablehnung der Kriegskredite für die Mehrheit der Reichstagsfraktion selbstverständlich und zweifellos sei.“[16] Am Nachmittag des 4. August stimmte jedoch die sozialdemokratische Fraktion – nachdem es am Vortag in der vorbereitenden Fraktionssitzung nach Angaben Wolfgang Heines zu „ekelhaften Lärmszenen“[17] gekommen war, weil sich Liebknecht und 13 weitere Abgeordnete entschieden gegen diesen Schritt aussprachen – geschlossen für die Bewilligung der Kriegskredite, die der Regierung die vorläufige Finanzierung der Kriegführung ermöglichten. Vor der Fraktionssitzung am 3. August hatten die Befürworter der Bewilligung nicht mit einem solchen Erfolg gerechnet und waren sich keineswegs sicher, überhaupt eine Mehrheit in der Fraktion zu erhalten[18]; noch in der Sitzungspause nach der Rede des Reichskanzlers – unmittelbar vor der Abstimmung am 4. August – kam es in der Fraktion zu Tumulten, weil Frank, David, Südekum, Cohen und einige andere Bethmann Hollwegs Ausführungen demonstrativ beklatscht hatten.[19] Liebknecht, der die (ungeschriebenen) Regeln der Partei- und Fraktionsdisziplin in den Jahren zuvor immer wieder gegen Vertreter des rechten Parteiflügels verteidigt hatte, beugte sich dem Beschluss der Mehrheit und stimmte der Regierungsvorlage im Plenum des Reichstags ebenfalls zu. Hugo Haase, der in der Fraktion wie Liebknecht gegen die Bewilligung aufgetreten war, erklärte sich aus ähnlichen Gründen sogar zur Verlesung der von den bürgerlichen Parteien mit Jubel aufgenommenen Erklärung der Fraktionsmehrheit bereit. Liebknecht hat den 4. August, den er als katastrophalen politischen und persönlichen Einschnitt empfand, privat und öffentlich immer wieder thematisiert und durchdacht. 1916 notierte er dazu:

„Der Abfall der Fraktionsmehrheit kam selbst für den Pessimisten überraschend; die Atomisierung des bisher überwiegenden radikalen Flügels nicht minder. Die Tragweite der Kreditbewilligung für die Umschwenkung der gesamten Fraktionspolitik ins Regierungslager lag nicht auf der Hand: Noch bestand die Hoffnung, der Beschluss vom 3. August sei das Ergebnis einer vorübergehenden Panik und werde alsbald korrigiert, jedenfalls nicht wiederholt und gar übertrumpft werden. Aus diesen und ähnlichen Erwägungen, allerdings auch aus Unsicherheit und Schwäche erklärte sich das Misslingen des Versuchs, die Minderheit für ein öffentliches Separatvotum zu gewinnen. Nicht übersehen werden darf dabei aber auch, welche heilige Verehrung damals noch der Fraktionsdisziplin entgegengebracht wurde, und zwaram meisten vom radikalen Flügel, der sich bis dahin in immer zugespitzterer Form gegen Disziplinbrüche oder Disziplinbruchsneigungen revisionistischer Fraktionsmitglieder hatte wehren müssen.“[20]

Einer Erklärung Rosa Luxemburgs und Franz Mehrings (deren vollständiger Wortlaut als verschollen gilt[21]), in der diese wegen des Verhaltens der Fraktion ihren Parteiaustritt androhten, schloss sich Liebknecht ausdrücklich nicht an, weil er sie „als Halbheit empfand: Dann hätte man schon austreten müssen.“[22] In den ersten großen, von einer breiteren Öffentlichkeit beachteten Konflikt mit der neuen Parteilinie geriet Liebknecht, als er zwischen dem 4. und 12. September Belgien bereiste, dort mit einheimischen Sozialisten zusammentraf und sich – unter anderem in Lüttich undAndenne – über die von deutschen Militärs angeordneten Massenrepressalien informieren ließ. Liebknecht wurde daraufhin in der Presse – auch der sozialdemokratischen – des „Vaterlandsverrats“ und „Parteiverrats“ bezichtigt und musste sich am 2. Oktober vor dem Parteivorstand rechtfertigen.[23] Er war danach umso mehr entschlossen, bei der nächsten einschlägigen Abstimmung gegen die neue Kreditvorlage zu votieren und diese demonstrative Stellungnahme gegen die „Einigkeitsphrasen-Hochflut“[24] zur Grundlage einer Sammlung der Kriegsgegner zu machen. Im Vorfeld dieser Sitzung, zu der der Reichstag am 2. Dezember 1914 zusammentrat, versuchte er in stundenlangen Gesprächen auch andere oppositionelle Abgeordnete für diese Haltung zu gewinnen, scheiterte aber.Otto Rühle, der Liebknecht zuvor zugesichert hatte, ebenfalls offen mit Nein zu stimmen, hielt dem Druck nicht stand und blieb dem Plenum fern, Fritz Kunert – der, was wenig bekannt ist, auch schon am 4. August so gehandelt hatte[25] – verließ kurz vor der Abstimmung den Saal.[26] Liebknecht stand schließlich als einziger Abgeordneter nicht auf, als Reichstagspräsident Kaempf das Haus aufforderte, dem Ergänzungshaushalt durch Erheben von den Sitzen zuzustimmen. Bei der nächsten Abstimmung – am 20. März 1915 – votierte Rühle gemeinsam mit Liebknecht. Eine Bitte von etwa 30 anderen Fraktionsmitgliedern, während der Abstimmung mit ihnen gemeinsam den Saal zu verlassen, hatten beide zuvor abgelehnt.

Liebknecht wurde daraufhin an die Front einberufen, obwohl er eigentlich als Reichstagsabgeordneter politische Immunität genoss. Er erlebte als Armierungssoldat den Krieg an der West– und Ostfront. Die Militärgesetzgebung verbot ihm politische Aktivität außerhalb des Reichstages. Bis dahin hatte er auf verschiedene Weise versucht, eine innerparteiliche Opposition gegen die SPD-Politik des Burgfriedens zu bilden. So war er im Sommer und Herbst 1914 mit Rosa Luxemburg durch ganz Deutschland gereist, um – weitgehend erfolglos – Kriegsgegner zur Ablehnung der Finanzbewilligung für den Krieg zu bewegen. Er nahm auch Verbindung zu anderen europäischen Arbeiterparteien auf, um diesen zu signalisieren, dass nicht alle deutschen Sozialdemokraten für den Krieg seien. Mit zehn weiteren SPD-Linken war er Mitglied der von Rosa Luxemburg am 5. August 1914 gebildeten Gruppe Internationale.

Noch vor seiner Einberufung ins Heer gab er im März 1915 ebenfalls zusammen mit Rosa Luxemburg die ZeitschriftInternationale heraus, die nur einmal erschien und sofort von den Behörden beschlagnahmt wurde. Es gelang ihm dennoch, die Gruppe Internationale zu vergrößern und die entschiedenen Kriegsgegner in der SPD reichsweit zu organisieren. Daraus ging am 1. Januar 1916 die Spartakusgruppe hervor (nach der endgültigen Loslösung von der Sozialdemokratie im November 1918 umbenannt in Spartakusbund). Im Dezember 1915 stimmten bereits 20 SPD-Abgeordnete gegen weitere Kriegskredite. Daraufhin schloss die SPD-Reichstagsfraktion diese Kriegsgegner, darunter Liebknecht, am 12. Januar 1916 aus ihren Reihen aus.

Zur „Osterkonferenz der Jugend“ sprach er in Jena vor 60 Jugendlichen zum Antimilitarismus und zur Änderung der gesellschaftlichen Zustände in Deutschland. Am 1. Mai jenes Jahres trat er als Führer einer Antikriegsdemonstration, die von Polizei umzingelt war, auf dem Potsdamer Platz in Berlin auf. Er ergriff das Wort mit den Worten „Nieder mit dem Krieg! Nieder mit der Regierung!“. Danach wurde er verhaftet und wegen Hochverrats angeklagt. Hugo Haase, bis März 1916 SPD-Vorsitzender, setzte sich vergeblich für seine Freilassung ein. Am 23. August 1916 wurde Liebknecht zu vier Jahren und einem Monat Zuchthaus verurteilt. Der erste Prozesstag, eigentlich gedacht als Exempel gegen die sozialistische Linke, geriet zum Fiasko für die kaiserliche Justiz: Organisiert von den Revolutionären Obleuten fand in Berlin ein spontaner Solidaritätsstreik mit über 50.000 Beteiligten statt. Statt die Opposition zu schwächen, gab Liebknechts Verhaftung dem Widerstand gegen den Krieg neuen Auftrieb.[27] In Liebknechts Haftzeit fiel die Spaltung der SPD und die Gründung der USPD im April 1917. Die Spartakusgruppe trat nun in diese ein, um auch dort auf revolutionäre Ziele hinzuwirken.

Neben dem katholischen Reichstagsabgeordneten Matthias Erzberger vom Zentrum, der wie Liebknecht später von Rechtsextremisten ermordet wurde, war Liebknecht der einzige deutsche Parlamentarier, der öffentlich die massiven Menschenrechtsverletzungen der türkisch-osmanischen Verbündeten im Nahen Osten anprangerte, insbesondere denVölkermord an den Armeniern und das brutale Vorgehen gegen weitere nicht-türkische Minderheiten, insbesondere inSyrien und dem Libanon. Von der Mehrheits-SPD (die mit der jungtürkischen Partei CUP politisch verbündet war – die Nachfolgepartei der CUP, die CHP, ist heute Vollmitglied der Sozialistischen Internationale) und den liberalen Parteien wurde diese Praxis stillschweigend gebilligt und zum Teil sogar öffentlich mit strategischen Interessen Deutschlands und der angeblichen existenziellen Bedrohung der Türkei durch armenischen und arabischen Terrorismus gerechtfertigt (Lensch-Cunow-Haenisch-Gruppe (SPD), Ernst Jäckh, Friedrich Naumann (DDP)).

http://de.wikipedia.org/wiki/Karl_Liebknecht

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Vorstellungen vom Krieg vor 1914 und der Beginn des “Großen Krieges”

Gerd Krumeich

10.4.2014

Als die europäischen Nationen im Jahre 1914 in den Krieg zogen, gab es nur vage Vorstellungen von dem, was dann wirklich kam. Überall herrschte die Überzeugung, dass der Krieg schon vor Weihnachten 1914 beendet sein werde. Die “kriegsbegeisterten” Menschen in Berlin, München und anderen Großstädten wären sicherlich nicht jubelnd durch die Straßen gezogen, hätten sie auch nur die geringste Ahnung gehabt, wie schauerlich sich dieser Krieg entwickeln sollte. Auch die verantwortlichen Politiker wie der deutsche Kanzler Theobald von Bethmann Hollweg, der französische Präsident Raymond Poincaré, der russische Außenminister Sergej Sasonow oder der britische Schatzkanzler und spätere Premierminister David Lloyd George hätten sicher mehr getan, um den Eklat des Juli 1914 zu vermeiden, hätten sie geahnt, dass dieser Krieg mehr als vier Jahre dauern und nahezu dreizehn Millionen Tote kosten würde. Die Auffassung, dass man sich bemühen werde, den Krieg kurz zu halten, ihn nicht ausufern zu lassen, um Europas Wirtschaft nicht übermäßig zu strapazieren, war allgemein verbreitet.[1] 

Die Offiziere Alfred von Schlieffen, Friedrich von Bernhardi und andere Kriegstheoretiker und -praktiker jener Zeit hatten eine durchaus realistische Sicht des Krieges – allerdings nur des Krieges, den sie kannten. Was sie nicht hinreichend beachteten, war die Tatsache, dass der Krieg wie alle menschlichen Handlungen und Einrichtungen entwicklungsfähig ist und dazu tendiert, über sich hinauszuwachsen und qualitativ neue Züge anzunehmen. Viele internationale Fachleute waren zum Beispiel davon überzeugt, dass die offensive Kriegsführung der defensiven in jedem Fall überlegen sei, weil der kommende Krieg aus ökonomischen und politischen Gründen ja von vornherein als ein kurzer konzipiert werden musste.[2] 

Die Militärexperten der Vorkriegszeit zeigten sich willens und fähig, Armeen von bisher noch nicht kampferprobter, aber gerade noch denkbarer Größe gegeneinander kämpfen zu lassen. Sie sprachen von ungefähr einer Million Mann auf beiden Seiten. Im August 1914 zählte die deutsche Armee tatsächlich 83000 Offiziere und ungefähr 2,3 Millionen Mann.[3] Sicherlich war dies das Doppelte von dem, was Schlieffen als noch vernünftig und machbar angesehen hatte, aber er hatte auch nur von den Truppen gesprochen, die an einer Front zu brauchen seien, wohingegen dann der tatsächliche Aufmarsch im August/September 1914 sowohl an der Ost- wie auch an der Westfront stattfand. Sicherlich wären die militärischen Beobachter der Vorkriegszeit nicht so optimistisch gewesen, wenn sie vorausgesehen hätten, dass die deutsche Armee beispielsweise im Jahr 1916 auf etwa 8,2 Millionen Soldaten angewachsen sein würde.

Rolle der Kriegstechnik

 

Für die vor 1914 verbreiteten Vorstellungen vom zukünftigen Krieg waren unter anderem auch verschiedene technische Entwicklungen maßgeblich. Zunächst spielte der Gebrauch von Eisenbahnen und Kraftwagen eine sehr große Rolle. Es hat den Anschein, als stellte das Bewusstsein, über eine Maschinerie zu verfügen, mit der die Massenarmeen zügig transportiert werden konnten, ein außerordentlich hilfreiches Argument für jene dar, die auf eine immer stärkere Vergrößerung der Armeen drängten.[4] Was die Zerstörungskraft moderner Geschütze angeht, so waren in der Vorkriegszeit durchaus realistische Vorstellungen vorhanden. Aber immer wieder findet sich bei denjenigen Autoren, die versuchten, das Publikum mit den Realitäten des modernen Krieges vertraut zu machen, die Überzeugung, dass die Kriegsmaschinerie kontrollierbar und ein schneller Sieg möglich bleiben müsse. 

Eine Mischung von realistischem Denken und groben Illusionen, bewirkt durch übergroßen Technikglauben, ist vielfach zu erkennen – beispielsweise in dem Bericht eines in den Balkankriegen (1912/1913) aktiven Feldarztes über die Auswirkungen moderner Geschosse und Geschossverletzungen, illustriert mit einer Anzahl fürchterlicher Fotografien. Dieser Arzt gelangte gleichwohl zu der Schlussfolgerung, dass die Geschosse wegen der höheren Schussfolge und der Transportfähigkeit größerer Geschossmassen immer kleinkalibriger werden müssten. Eine unausweichliche Konsequenz dieser Entwicklung werde sein, dass die kleineren Kugeln im Vergleich zu den im deutsch-französischen Kriege von 1870/1871 verwendeten Geschossen ungefährlichere Verwundungen verursachten. Eine Erfahrung des Balkankrieges liege also darin, dass die neuen Geschosse reduzierten Kalibers oft keine tödlichen Wunden mehr herbeiführten. Verwundete Soldaten würden somit schneller geheilt als früher und könnten bald wieder eingesetzt werden. Insgesamt werde die Artillerie in Zukunft nichts mehr ausrichten können, da, wie man bereits im Burenkrieg (1899–1902) gesehen habe, das ausgebaute Schützengrabensystem die Truppen dem Feuer der jeweils gegnerischen Artillerie entzöge.[5] 

Auch der Militärschriftsteller Julius Hoppenstedt veröffentlichte 1907 ein viel beachtetes Buch über die Großschlachten künftiger Kriege.[6] Anders aber als die genau in jenen aufgeregten Jahren so vielfältige Kriegsfuturologie-Literatur[7] verstand sich diese Schrift als ein taktisches Lehrwerk, das anhand einer erdachten Schlacht die Fragen aktueller Strategie und Taktik diskutieren wollte. Hier heißt es im Hinblick auf die Bedeutung der Artillerie: “Die hochgesteigerte Schnellwirkung der Rohrrücklaufgeschütze macht es möglich, auf Stellen, gegen die Infanterie vorrücken soll oder will, für Minuten geradezu eine Wand von Eisen und Rauch zu errichten; ihre große Tragweite ermöglicht den Zusammenschluß zahlreicher Batterien; die Panzerung läßt die Trutzbatterien dem Gegner selbst auf Nahentfernung auf den Leib rücken, aber auch aus verdeckter Stellung kann dank seiner Standfestigkeit und der Verbesserung der Richt-, Beobachtungs- und Nachrichtenmittel das moderne Geschütz Schnellwirkung erzielen”.[8] 

Was Hoppenstedt beschreibt, ist ziemlich exakt die berühmte “Feuerwalze”, mit der die beiderseitigen Truppenführungen nach den Erfahrungen des Jahres 1916 versuchten, aus dem “festgefahrenen” Krieg wieder zur Offensive überzugehen.[9] Das unrealistische Element dieses Denkens liegt hingegen im Ignorieren der Clausewitz’schen “Wechselwirkung”, gemäß der die Gegenseite genau in derselben Weise die “Feuerwalze” in Betrieb setzen würde und der Verteidiger den Angreifer ebenfalls mit Artillerie in Schach halten kann; dies alles wird hier nicht bedacht – wahrscheinlich in der stillschweigenden Voraussetzung, die eigene Technik sei “massiver” und entwickelter als die des Gegners. Ähnlich kurzschlüssiges Denken tritt auch bei Schlieffen zu Tage, wenn er behauptet, dass “sich der Angreifer im raschen Anlauf auf den durch andauerndes Feuer eingeschüchterten Verteidiger stürzen” könne.[10]

Vorkriegsstimmungen

 

Auf sozialistischer und pazifistischer Seite wurde stets vor dem kommenden großen Krieg gewarnt. Berühmt geblieben ist August Bebels Reichstagsrede vom November 1911, in der er nach der Marokko-Krise aussprach, was heute ungemein prophetisch wirkt: “So wird man eben von allen Seiten rüsten und wieder rüsten (…) bis zu dem Punkte, daß der eine oder andere Teil eines Tages sagt: Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende. (…) Dann kommt die Katastrophe. Alsdann wird in Europa der große Generalmarsch geschlagen, auf den hin sechzehn bis achtzehn Millionen Männer, die Männerblüte der verschiedenen Nationen, ausgerüstet mit den besten Mordwerkzeugen, gegeneinander als Feinde ins Feld rücken. (…) Die Götterdämmerung der bürgerlichen Welt ist im Anzuge (…).”[11] Weniger bekannt ist allerdings, dass die Rede vom Gelächter der Konservativen und Nationalisten begleitet wurde, auch mit Zwischenrufen wie: “Nach jedem Kriege wird es besser”. 

In den Jahren 1912 bis 1914 verschlechterten sich die Beziehungen zwischen den Großmächten zusehends. Zunächst kam es 1912/1913 zu einem regelrechten Wettrüsten zwischen Deutschland und Frankreich. Auf beiden Seiten herrschte die Überzeugung, dass der Gegner zum Krieg dränge und bald losschlagen wolle. Hinzu kam ab dem Spätherbst 1913 eine starke Fehde zwischen Deutschland und Russland, da Russland nicht dulden wollte, dass die türkische Armee von deutschen Instruktoren geleitet und verbessert würde, so wie es Deutschland und das Osmanische Reich planten. Immer häufiger war nun auch vom baldigen Krieg die Rede. Russlands Kriegsminister rief im April 1914 den französischen Alliierten öffentlich dazu auf, sich endlich auf den Kampf an der Seite Russlands vorzubereiten.[12] 

Generalstabschef Helmuth von Moltke zeigte sich deshalb im Mai 1914 (also lange vor dem Attentat in Sarajevo) voller böser Vorahnungen und drängte immer heftiger auf einen Krieg, solange die deutschen Aussichten auf einen Sieg im Zweifrontenkrieg gegen Russland und Frankreich noch realistisch seien. Wie er seinem österreich-ungarischen Kollegen, dem ohnehin auf Krieg (gegen Serbien) drängenden Conrad von Hötzendorff im Mai mitteilte, sei er der Überzeugung, dass “jedes Zuwarten eine Verminderung unserer Chancen bedeutet”. Nach einer späteren Aufzeichnung des Staatssekretärs des Auswärtigen Amtes (also dem “Außenminister” des Deutschen Reiches) Gottlieb von Jagow habe Moltke ihm zu jener Zeit in einem persönlichen Gespräch empfohlen, dem für 1916 zu erwartenden Krieg zuvorzukommen und damit die letzte Gelegenheit zu ergreifen, solange Deutschland überhaupt noch Erfolgsaussichten habe.[13] 

Der Hamburger Bankier und enge Vertraute des Kaisers, Max Warburg, berichtet über ein Gespräch mit Wilhelm II. am 21. Juni 1914 – acht Tage vor dem Attentat von Sarajevo – in dem sich dieser tief beunruhigt über die russischen Rüstungen gezeigt habe und jetzt einen Vorwand zum Losschlagen finden wollte, wenn doch in zwei Jahren alles zu spät sein werde.[14] Auch Bethmann Hollweg, der so nachdenkliche und kein wenig “kriegstreiberische” Reichskanzler, war im Frühsommer 1914 von starkem Pessimismus befallen, auch wenn er weiterhin einen Präventivkrieg ablehnte. Er hatte, genau wie das Auswärtige Amt, große Sorgen wegen kontinuierlich fließender Nachrichten von einem geplanten russisch-britischen Marineabkommen. Dieses war zwar noch nicht weit gediehen und für sich allein gesehen nicht sonderlich weitreichend.[15] Aber die deutsche Regierung erfuhr alle Verhandlungsschritte unmittelbar und sofort durch einen in der russischen Botschaft in London platzierten Spion. Und die Tatsache, dass diskrete Nachfragen im britischen Außenministerium mit “diplomatischen” Ausflüchten und Lügen beantwortet wurden, war Wasser auf die Mühle der “Einkreisungsphobie” der deutschen Regierung.[16] 

Entsprechend war die “Gemütslage” der wichtigsten militärischen und politischen Führer, als die Nachricht vom Attentat von Sarajevo eintraf. Überall in der “zivilisierten Welt” sorgte das Attentat für größtes Entsetzen. Die Regierung der Doppelmonarchie war von Anfang an fest entschlossen, die Gelegenheit zu nutzen, um sich ein für alle Mal des “serbischen Problems” zu entledigen. Die ohnehin seit Jahren auf “Kriegskurs” gegen das als bedrohlich empfundene Serbien stehende Regierung und die Militärs Österreich-Ungarns wollten nunmehr Serbien unannehmbare Kompensationsforderungen stellen, um es mit Krieg überziehen zu können und für immer unschädlich zu machen. Diese Absicht geht aus den Akten der Beratungen des “Gemeinsamen Ministerrats” der Doppelmonarchie vom 7. Juli 1914 hervor. Man gelangte zu der Auffassung, “daß ein rein diplomatischer Erfolg, wenn er auch mit einer eklatanten Demütigung Serbiens enden würde, wertlos wäre und daß daher solche weitgehende Forderungen an Serbien gestellt werden müssten, die eine Ablehnung voraussehen ließen, damit eine radikale Lösung im Wege militärischen Eingreifens angebahnt würde”.[17] 

Die historische Forschung ist sich noch heute nicht einig, ob und wie weit diese Entschiedenheit Österreich-Ungarns durch das Verhalten des deutschen Bündnispartners beeinflusst oder sogar erst bewirkt worden ist. Tatsächlich hatte der wie immer impulsive, aufbrausende und funkensprühende Kaiser Wilhelm II. schon sehr früh auf Kriegskurs gedrängt. Er war in höchster Empörung über das Attentat, das für ihn eine tiefe Bedrohung des gesamten monarchischen Systems durch “die Revolution” darstellte. Als der deutsche Botschafter aus Wien am 30. Juni meldete, er benutze jede Gelegenheit, um die Regierung in Wien “vor übereiligen Schritten zu warnen”, schrieb der Kaiser erbost an den Rand der Depesche: “Wer hat ihn (den Botschafter Heinrich von Tschirschky) dazu ermächtigt? Das ist sehr dumm! Geht ihn gar nichts an, da es lediglich Österreichs Sache ist, was es hierauf zu thun gedenkt. Nachher heisst es dann, wenn es schief geht, Deutschland hat nicht gewollt! Tschirschky soll den Unsinn gefälligst lassen. Mit den Serben muss aufgeräumt werden, und zwar bald.”[18] 

Mit diesen Worten ist bereits die Auffassung der deutschen Regierung beschrieben, wie sie sich in den folgenden Tagen entwickelte. Sehr bald gelangten Bethmann Hollweg und die wichtigsten Außenpolitiker, nämlich Staatssekretär Jagow und sein Unterstaatssekretär Arthur Zimmermann, zu einer gemeinsamen Strategie: Man wollte das Attentat nutzen, um die gefährdete Großmacht Österreich-Ungarn, die ja gleichzeitig der einzige noch zuverlässige Verbündete Deutschlands war, wieder zu stabilisieren. Das erfuhren die Österreicher, als sie am 5. Juli einen Emissär, den Grafen Hoyos, mit einer persönlichen Botschaft des Monarchen nach Berlin schickten. Hoyos kehrte mit der Versicherung des Kaisers zurück, dass Deutschland für alle Fälle hinter Österreich-Ungarn stehe, auch wenn sich der Konflikt mit Serbien zu einem Krieg mit Russland ausweiten würde, das ja “Schutzmacht” der Serben war. Selbstverständlich war man sich der Tatsache bewusst, dass im Falle eines Krieges mit Russland auch Frankreich im Spiel war, war doch Frankreich laut Allianzvertrag verpflichtet, im Falle eines Angriffs der Mittelmächte auf Russland diesem militärisch beizustehen. So wurde der sogenannte Blankoscheck des Deutschen Reiches für Österreich-Ungarn zur entscheidenden Weichenstellung hin zum “Großen Krieg”.

Misslungene “Lokalisierung”

 

Warum aber hat Deutschland seinem Verbündeten diese Vollmacht erteilt? Man kann die weitgehende Behauptung der “Fischer-Schule” aus den 1960er Jahren[19] – die auch heute nur noch von wenigen Historikern geäußert wird – ausschließen, dass Deutschland die Julikrise von 1914 konsequent und dezidiert für die Durchsetzung seines Weltmachtanspruchs benutzen wollte. Das setzt ein zweckrationales Verhalten voraus, für welches sich aber in den Quellen keine Belege finden. Zutreffend ist hingegen, dass die deutsche Regierung zu einem ebenso elaborierten wie unverantwortlichen Kalkül Zugriff (oder Zuflucht?) nahm. Sie bestand darauf, den Konflikt zwischen Österreich-Ungarn und Serbien auf diese beiden Mächte zu beschränken, ihn, wie damals unablässig wiederholt wurde, zu “lokalisieren”, damit sich aus dem kleinen Brand an der Peripherie nicht der große Zusammenstoß beider Allianzsysteme ergebe. Diese Absicht ist in der so erbitterten Kriegsschulddiskussion nach 1918 immer wieder benutzt worden, um die deutsche Regierung zu entschuldigen beziehungsweise um nachzuweisen, dass sie keineswegs die Absicht gehabt habe, einen großen Krieg auszulösen, sondern im Gegenteil stets auf eine Eingrenzung, eben eine “Lokalisierung”, des Brandherdes gedrungen habe. 

So überzeugend dieses Argument auf den ersten Blick erscheinen mag, so übersieht es, dass die Lokalisierungsabsicht von keinem verantwortlichen Politiker im Gegenlager und bei den Neutralen verstanden wurde. Europäische Großmachtdiplomatie hatte seit mehr als hundert Jahren stets darauf beruht, entstandene Konflikte durch “Konferenzdiplomatie” der Hauptmächte zu bereinigen. Dieses uralte System hatte ja auch trotz aller Schwierigkeiten in den Balkankriegen funktioniert. Warum sollte jetzt, wo ein großer Krieg drohte, nicht wieder versucht werden, das Problem zwischen Serbien und Österreich-Ungarn auf dem Wege internationaler Konferenzen zu entschärfen, wie es England und Frankreich sofort vorschlugen? Darauf hatte Deutschland nur die immer wieder vorgetragene und stereotype Antwort, dass im gegebenen Fall die “Einmischung” anderer Mächte wegen der ohnehin so gespannten Situation zwischen den beiden Bündnisstrukturen in Europa zu einer unkontrollierbaren Situation und höchstwahrscheinlich zum Krieg führen müsste. Deshalb müsse Deutschland strikt auf Nichteinmischung der anderen Mächte bestehen. Diese Krisenstrategie, über deren genaue Ausarbeitung wir wenig wissen, war unter diesen Umständen nichts anderes als eine in dieser Form noch nie da gewesene Erpressung. Die europäischen Großmächte, insbesondere Russland, sollten tatenlos zusehen, wie Österreich-Ungarn mit Serbien nach Belieben umsprang. 

Während der Krise unterschätzten die Briten lange den dramatischen Charakter der deutschen Politik. Außenminister Edward Grey unterließ es – was ihm später heftig vorgeworfen worden ist – noch zur rechten Zeit eine klare Warnung an Deutschland auszusprechen. Noch Anfang August wussten weder die Alliierten des Vereinigten Königreiches noch Deutschland und Österreich-Ungarn, ob Großbritannien überhaupt in einen Krieg eingreifen würde. 

Die französische Regierung verhielt sich recht doppeldeutig. Einerseits wurde von Paris aus energisch auf eine Begrenzung der Krise durch Gespräche zwischen den Großmächten gedrungen. Andererseits hat Präsident Poincaré gemeinsam mit dem französischen Botschafter in Petersburg, Maurice Paléologue, auf dem Höhepunkt der Julikrise alles getan, um den Russen die Sicherheit zu geben, dass Frankreich unter allen Umständen eine Politik der Unnachgiebigkeit gegenüber Deutschland verfolgen werde. Russland konnte sich deshalb ziemlich sicher sein, dass Frankreich im Kriegsfall unbedingt an seiner Seite stehen würde.

Europäisches Domino

 

Das Ultimatum Österreich-Ungarns an Serbien schlug ein “wie eine Bombe”. Sasonow war außer sich: “Sie setzen Europa in Brand!”, sagte der russische Außenminister dem deutschen Botschafter. Österreich verlangte von Serbien eine Art förmliche Unterwerfung: Serbien sollte alle panserbischen und antiösterreichischen Tendenzen in der Presse unterdrücken, und es sollte vor allem österreichische Beamte in die Untersuchung der Hintergründe des Attentats einschalten. Letzteres war für einen souveränen Staat nach damaligen Begriffen vollständig inakzeptabel – und so war es ja auch von Österreich-Ungarn geplant. Indessen war die serbische Antwort ein Meisterstück der Diplomatie: Es gab nahezu allen Forderungen Wiens nach, nur die Beauftragung österreichischer Beamter mit der Untersuchung lehnte es ab. Ohne weitere Verhandlungen erklärte die Doppelmonarchie nun Serbien den Krieg, die europäische Öffentlichkeit war von soviel Brutalität schockiert. Dies umso mehr, als man überall davon ausging, dass hinter diesem unmäßigen Verhalten der Donaumonarchie Deutschland stünde, und die Vermutung, dass Deutschland einen großen Krieg wolle, wurde immer stärker zur Gewissheit. 

Angesichts dieser Entwicklung wurde Kaiser Wilhelm II. einigermaßen von Panik erfasst. Der Monarch erkannte, dass Österreich-Ungarns Verhalten nach dieser serbischen Antwort nicht mehr zu legitimieren war und gab die Anweisung, Österreich-Ungarn nunmehr zur Mäßigung aufzufordern. An den Rand einer Depesche aus Wien schrieb der Kaiser, dass mit der serbischen Antwort “jeder Kriegsgrund” entfalle. Bethmann Hollweg leitete zwar die Vorschläge des Kaisers korrekt nach Wien weiter, nicht aber dieses so symbolische, wenngleich sachlich unsinnige “Jetzt entfällt jeder Kriegsgrund”. Schließlich war zu diesem Zeitpunkt der Krieg bereits seit einem Tag erklärt. 

Russland war es vollständig unmöglich, angesichts der Empörung der eigenen Öffentlichkeit diesen Gewaltakt an der kleinen slawischen Brudernation hinzunehmen, obwohl der Zar genauso unschlüssig blieb wie sein Vetter (!) Wilhelm II. Mobilmachungen Russlands, in welcher Form auch immer, waren aber der Kulminationspunkt des Bedrohungsszenarios, das die deutschen Militärs seit Jahren aufgebaut hatten und die Politiker inzwischen insgesamt teilten: Sie wussten, dass der Erfolg des deutschen Kriegsplanes, des “Schlieffenplans”, davon abhing, dass Russland erst zu einem Zeitpunkt in den Krieg eingreifen konnte, wenn Deutschland Frankreich schon nahezu besiegt hatte. Jeder Tag, den die Russen eher mit ihrem Aufmarsch fertig waren, bedeutete deshalb eine einschneidende Schwächung dieses sakrosankten Planes.

Reichskanzler Bethmann Hollweg war sich dieser Gefahr bewusst, wie er selbst vor dem Reichstag am 3. August 1914 bekundete, als er die Kriegserklärung erstmals rechtfertigte.[20] Ab dem 28. Juli, dem Zeitpunkt, ab dem sich die Meldungen und Gerüchte von russischen Truppenzusammenziehungen, Teilmobilmachungen und Grenzübertritten massiv häuften, scheint er seine Politik darauf abgestellt zu haben, nunmehr nur noch die “innere Front” zu stabilisieren und Russland vor den Augen der bislang so kriegskritischen Sozialdemokratie und der gesamten Bevölkerung als alleinigen Kriegsverursacher aufzubauen. Diese Strategie war auf Dauer sehr erfolgreich: Die russische Mobilmachung als Begründung der deutschen war und blieb die unbedingte Voraussetzung des “Burgfriedens”, nämlich der nachhaltigen Überzeugung der Deutschen, einen Verteidigungskrieg zu führen. 

Tatsächlich verliefen die konfusen und zum Teil verzweifelten Verhandlungen der Mächte in den “letzten Stunden” der Krise ergebnislos, und alles spitzte sich auf die Frage zu, wer als erster die Mobilmachung befehlen würde. Dies war am 30. Juli eindeutig Russland, welches lange zwischen verschiedenen Formen von Teilmobilmachung geschwankt hatte, aber jetzt dem kategorischen Wunsch der Generäle nachgab, nicht länger zu zögern – auch die Russen wussten um die Nachteile einer späten Mobilmachung im erwarteten “kurzen Krieg”. Damit war das deutsche Bemühen erfolgreich, Russland als Schuldigen am Ausbruch des Weltkrieges anprangern zu können.

Schuldfrage

 

Wer war schuld? Zweifellos hat die unverantwortliche Erpressungs- und Bluffpolitik der deutschen Regierung den größten Anteil an der Entfesselung des Krieges. Aber nicht allein die Deutschen trugen die Verantwortung für die bis ins Unerträgliche gesteigerten Spannungen der Vorkriegszeit. In der Kriegsschulddebatte nach dem Ersten Weltkrieg hat der französische Historiker und Pädagoge Jules Isaac abschließend folgendermaßen geurteilt: Der Krieg sei gekommen, weil für keine der beteiligten Nationen der Frieden das höchste Gut gewesen sei. Hinter dieser lakonischen Feststellung verbirgt sich die tiefe Einsicht, dass den Politikern von 1914 trotz mancher Vorahnungen ein (zeitlich wie räumlich begrenzter) europäischer Krieg als durchaus noch machbar erschien. 

Man hatte vom Gaskrieg keine Vorstellung, genauso wenig wie von flächendeckender schwerer Artillerie, von Tanks oder Bomben werfenden Flugzeugen. Der Krieg, wie er 1914 begann, hatte mit dem von 1916 bis 1918 wenig zu tun. Der preußische General und Militärtheoretiker Carl von Clausewitz sah dies hundert Jahre zuvor voraus, als er urteilte, dass Krieg immer ein “Chamäleon” sei, und “absolut” werde, wenn er nicht mehr von der Politik gesteuert werde. Genau das zeigte sich dann im Zeitalter der Millionenheere und der ungeheuren industriellen Produktivität der europäischen Gesellschaften auch für den “Großen Krieg”.

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Fußnoten

1.
Eine berühmte Abrechnung mit diesem Denken in: Norman Angell, The Great Illusion, London 1910; vgl. auch Johann von Bloch, Die wahrscheinlichen wirtschaftlichen und politischen Folgen eines Krieges zwischen Großmächten, Berlin 1901.
2.
Vgl. Gerd Krumeich, Aufrüstung und Innenpolitik in Frankreich vor dem Ersten Weltkrieg, Wiesbaden 1980, Kap. 1; David Stevenson, Armaments and the Coming of War, Europe 1904 to 1914, Oxford 1996; Jack Snyder, The Ideology of the Offensive. Military Decision Making and the Disasters of 1914, London 1984.
3.
Vgl. Der Weltkrieg, hrsg. v. Reichsarchiv, Berlin 1930, Bd. 1, S. 217.
4.
Vgl. Die Bedeutung großer Armeemanöver, in: Die Grenzboten, 70 (1911), S. 340–353.
5.
Vgl. Kriegschirurgie, in: Deutsche Revue, 38 (1913), S. 226–235, S. 347–358; Über den heutigen Stand der Kriegschirurgie, in: Illustrierte Zeitung vom 24.10.1912.
6.
Vgl. Julius Hoppenstedt, Die Schlacht der Zukunft, Berlin 1907.
7.
Vgl. Jost Dülffer, Kriegserwartung und Kriegsbild in Deutschland vor 1914, in: Wolfgang Michalka (Hrsg.), Der Erste Weltkrieg, München 1994, S. 778–798; Ignatius F. Clarke, Voices Propheseying War, 1763–1984, London 1966.
8.
J. Hoppenstedt (Anm. 6), S. 228.
9.
Zum Begriff der “Feuerwalze” vgl. Gerd Krumeich, Der Erste Weltkrieg. Die 101 wichtigsten Fragen, München 2014, S. 122.
10.
Alfred Graf v. Schlieffen, Der Krieg der Gegenwart, in: Deutsche Revue, 34 (1909), S. 13–24.
11.
August Bebel, Rede im Deutschen Reichstag, November 1911, zit. nach: Wolfgang J. Mommsen, Der Topos vom unvermeidlichen Krieg, in: Jost Dülffer/Karl Holl (Hrsg.), Bereit zum Krieg. Kriegsmentalität im Wilhelminischen Deutschland 1890–1914, Göttingen 1986, S. 194–224, hier: S. 205.
12.
Für eine ausführliche Darstellung vgl. Gerd Krumeich, Juli 1914. Eine Bilanz, Paderborn 2013, S. 44ff.
13.
Vgl. ebd.
14.
Vgl. ebd., S. 47.
15.
Vgl. Christopher Clark, Die Schlafwandler, München 2013; Stephen Schröder, Die englisch-russische Marinekonvention, Göttingen 2006.
16.
Vgl. Bernd Sösemann (Hrsg.), Theodor Wolff. Tagebücher 1914–1919, Boppard 1984, S. 63ff. Wolff war Chefredakteur des “Berliner Tageblatts” und stand im engen Kontakt mit dem Auswärtigen Amt.
17.
Protokoll der Sitzung, in: G. Krumeich (Anm. 12), S. 225–237, hier: S. 234.
18.
Dok. Nr. 2, in: G. Krumeich (Anm. 12), S. 212.
19.
Gemeint sind die Thesen des Historikers Fritz Fischer, siehe dazu den Beitrag von Annika Mombauer in diesem Heft (Anm. d. Red.).
20.
Theobald von Bethmann Hollweg, Rede im Deutschen Reichstag, 4.8.1914, in: Weißbuch. Vorläufige Denkschrift und Aktenstücke zum Kriegsausbruch, o.O., 1914, S. 54.
Creative Commons License Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz veröffentlicht. by-nc-nd/3.0/de/
Der Name des Autors/Rechteinhabers soll wie folgt genannt werden: by-nc-nd/3.0/de/ Autor: Gerd Krumeich für bpb.de

http://www.bpb.de/apuz/182556/vorstellungen-vom-krieg-vor-1914-und-der-beginn-des-grossen-krieges?p=all

Heute vor 44 Jahren: Während Protesten gegen den Vietnamkrieg am Campus der Kent State University in Kent, Ohio, eröffnet die Nationalgarde der USA das Feuer auf unbewaffnete Demonstrierende. Vier Studentinnen und Studenten werden beim ‘Kent-State-Massaker’ erschossen, neun zum Teil schwer verletzt. Der Vietnamkrieg begann 1946 mit dem Widerstand gegen die französische Kolonialherrschaft. 1954 wurde das Land in einen kommunistischen, von der Sowjetunion unterstützten Norden und den dem westlichen Block sich zurechnenden Süden geteilt. In der Folge kam es zu einem Bürgerkrieg im Süden. Die USA griffen 1965 offiziell in den Krieg ein, nachdem sie im August 1964 einen Angriff nordvietnamesischer Schiffe auf eines ihrer Kriegsschiffe im Golf von Tonkin vortäuschten, um eine innenpolitische Legitimation für den Kriegseintritt zu haben. (Dies wurde dann durch die von Daniel Ellsberg veröffentlichten Pentagon-Papiere 1971 bekannt.) Der Krieg weitete sich auch auf die Nachbarstaaten Laos und Kambodscha aus. 1973 zogen die USA ihre Truppen ab, und der Krieg, der etwa drei Millionen Menschen das Leben kostete, endete 1975 mit der Einnahme der südvietnamesischen Hauptstadt Saigons; Nordvietnam übernahm die Kontrolle über das gesamte Land.

04 Sunday May 2014

Posted by wirwollenkeinenkrieg in Asien, Aus der Geschichte lernen, USA, Widerstand gegen den Krieg, Wie die Welt verändern?

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Heute vor 44 Jahren:
Während Protesten gegen den Vietnamkrieg am Campus der Kent State University in Kent, Ohio, eröffnet die Nationalgarde der USA das Feuer auf unbewaffnete Demonstrierende. 
Vier Studentinnen und Studenten werden beim ‘Kent-State-Massaker’ erschossen, neun zum Teil schwer verletzt.

http://de.wikipedia.org/wiki/Kent-State-Massaker

Kent-State-Massaker

 http://www.friedenskooperative.de/ff/ff10/3-68.htm

Beim Kent-State-Massaker (Englisch Kent State Shootings, Kent State Massacre) wurden am 4. Mai 1970 an derKent State University in den USA vier Studenten erschossen und neun teils schwer verletzt, als die Nationalgarde desStaates Ohio während einer Demonstration gegen den Vietnamkrieg das Feuer auf die Menge unbewaffneter Demonstranten eröffnete. Bis heute wurde niemand dafür zur Verantwortung gezogen.

 

Inhaltsverzeichnis

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  • 1 Vorgeschichte
  • 2 Das Massaker
  • 3 Auswirkungen
  • 4 Literatur
  • 5 Weblinks
  • 6 Einzelnachweise

Vorgeschichte


Die Ikone: Am 8. Juni 1972 wurde das Dorf Trang Bang unweit von Saigon von einem Luftangriff getroffen. Nackt und verbrannt floh die damals 9-jährige Kim Phúc – und wurde fotografiert. In diesem Beschnitt ging ihr Bild um die Welt und wurde umgehend zur kriegsanklagenden Ikone.

 Friedensbewegung erfolgreich!

Die Anti-Vietnambewegung in den USA

Bradford Lyttle

(Red.) Der Vietnamkrieg begann 1946 mit dem Widerstand gegen die französische Kolonialherrschaft. 1954 wurde das Land in einen kommunistischen, von der Sowjetunion unterstützten Norden und den dem westlichen Block sich zurechnenden Süden geteilt. In der Folge kam es zu einem Bürgerkrieg im Süden. Die USA griffen 1965 offiziell in den Krieg ein, nachdem sie im August 1964 einen Angriff nordvietnamesischer Schiffe auf eines ihrer Kriegsschiffe im Golf von Tonkin vortäuschten, um eine innenpolitische Legitimation für den Kriegseintritt zu haben. (Dies wurde dann durch die von Daniel Ellsberg veröffentlichten Pentagon-Papiere 1971 bekannt.) Der Krieg weitete sich auch auf die Nachbarstaaten Laos und Kambodscha aus. 1973 zogen die USA ihre Truppen ab, und der Krieg, der etwa drei Millionen Menschen das Leben kostete, endete 1975 mit der Einnahme der südvietnamesischen Hauptstadt Saigons; Nordvietnam übernahm die Kontrolle über das gesamte Land.

Es gibt mehrere Wege, auf denen die Anti-Vietnambewegung in den USA zu dem Ende des Krieges beigetragen haben dürfte. Die USA verloren den Krieg – die erste Niederlage in ihrer Geschichte -, weil sie auf dem Schlachtfeld von den Vietkong besiegt wurden. Diese Niederlage passierte wahrscheinlich, weil die USA nicht Willens waren, die Zahl ihrer Bodentruppen unbegrenzt zu erhöhen, weil ihre konventionellen Waffen ihnen keinen entscheidenden Vorteil gegen die Waffen der Vietkong brachten und weil die USA nicht bereit waren, Atomwaffen einzusetzen. Die Vietkong waren in der Lage, unbegrenzte Zahlen an Menschen einzusetzen und bekamen von der Sowjetunion effektive Waffen, darunter AK-47, Anti-Panzerraketen, Panzer und Anti-Luftraketen. Entscheidend waren wohl vor allem die letzteren, weil sie den US-Luftangriffen, auf die die USA viel Gewicht legten, einen immer höheren Preis in Form von Flugzeugen und Helikoptern abverlangte.

Die Anti-Vietnambewegung in den Vereinigten Staaten behinderte die militärischen Anstrengungen der USA auf verschiedene Weise: Erstens kritisierten Intellektuelle in der Bewegung ständig die Begründung der Regierung für den Krieg. Diese Kritik nahm zwei Hauptformen an: Die eine war die Infragestellung der politischen Rechtfertigung. Die Regierung behauptete, dass der Krieg für die Sicherheit der USA notwendig sei, die SprecherInnen der Antikriegsbewegung bestritten dies. Die zweite war, dass die Intellektuellen falsche Darstellungen und Lügen der Regierung aufdeckten. Das wichtigste hier waren wahrscheinlich Daniel Ellsbergs Pentagon-Papiere. Diese intellektuellen Angriffe führten zu einer stetigen Erosion des Willens der USA, den Krieg zu führen, und der Bereitschaft von Soldaten, ihr Leben zu riskieren. Soldaten, die die Notwendigkeit und die moralische Rechtfertigung des Krieges bezweifelten, kämpften ohne Begeisterung, weigerten sich, ihre Waffen überhaupt abzufeuern, zogen sich in einen Drogenrausch zurück, und in manchen Fällen töteten sie gar ihre Offiziere. Viele junge Männer verweigerten sich der Einberufung und flohen nach Kanada und in andere Länder.

Die Anti-Atomwaffenbewegung, die dem Vietnamkrieg um mehr als eine Dekade vorausgegangen war, ließ vermutlich die Regierung zweimal überlegen, ob sie Atomwaffen in Vietnam einsetzen wollte. Diese Bewegung war in der Lage gewesen, Zehntausende zu Demonstrationen und fühlbarem zivilen Ungehorsam gegen Atomwaffentests und Atomwaffen allgemein zu mobilisieren. Es war offensichtlich, dass, wenn diese Energie mit der Anti-Vietnambewegung zusammenkäme, die Regierung ein noch größeres politisches Problem haben würde.

Darüber hinaus wusste die Regierung, dass der Einsatz von Atomwaffen in Vietnam die Möglichkeit eines direkten sowjetischen Eingreifens in den Krieg erhöhen würde, und dass dies zur Eskalation bis zu einem Atomkrieg führen könnte. Die Regierung war nicht der Meinung, dass ein Sieg in Vietnam dieses Risiko Wert war.

All diese Faktoren machten den Krieg immer weniger vorteilhaft für die US-Regierung. Er wurde politisch so unvorteilhaft, dass Lyndon Johnson keine zweite Amtszeit als Präsident anstrebte aus Angst, dass er eine Niederlage erleiden könne. Richard Nixon glaubte, dass er, um die Wahlen zu gewinnen, eine Antikriegs-Position einnehmen müsse.

Es wäre interessant, den Widerstand gegen den Vietnamkrieg mit dem Widerstand gegen den Krieg der USA gegen die Philippinen zu vergleichen, der um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert stattfand. Der Krieg begann am Ende des spanisch-amerikanischen Krieges, als die US-Marine und Bodentruppen die spanischen Kräfte in den Philippinen angriffen und entscheidend schlugen. Dies geschah inmitten eines Unabhängigkeitskrieges der Philippinen gegen Spanien, und die philippinischen Kräfte schienen dicht vor einem Sieg zu stehen. Doch anstatt das Land der Befreiungsbewegung zu übergeben, erklärten die USA ihre Herrschaft über die Philippinen. Was folgte, war ein außergewöhnlich grausamer und zerstörerischer Krieg, der mehr als sechs Jahre dauerte und mehr als 400.000 philippinischen Bürgern das Leben kostete. Die USA gewannen den Krieg wahrscheinlich, weil die Aufständischen keinen Unterstützer hatten, der ihnen Waffen lieferte, und so die USA die philippinischen Kräfte Insel für Insel aufreiben konnte. Trotzdem rief der Krieg eine große Antikriegsbewegung in den USA hervor. Massenhafte Demonstrationen gegen den Krieg wurden in New England und im mittleren Westen abgehalten. Mehr als 10.000 Menschen demonstrierten in Chicago. Das Thema des Krieges wurde Bestandteil der Wahlen im Jahr 1900.

Die Anti-Vietnambewegung schlägt eine gute Strategie des Widerstands gegen militärischen Imperialismus vor. Die Rechtfertigungen der Regierung für imperialistische Politiken muss bei jeder Gelegenheit analysiert und kritisiert werden. Lügen müssen offengelegt werden. Wehrpflicht und Einberufung muss Widerstand entgegengesetzt werden. Gewaltfreier ziviler Widerstand ist oft ein guter Weg, dies zu tun. Gewaltfreie Antikriegsdemonstrationen müssen ständig organisiert werden. Vor Unternehmen, die Waffen herstellen, müssen Mahnwachen stattfinden. Anstrengungen sollten unternommen werden, alle sozialen Elemente und Bewegungen, die nicht vom Krieg profitieren, in die Antikriegsbewegung mit einzubeziehen.

Bewegungen gewaltfreien Widerstands gegen Krieg mögen nicht leicht zu organisieren sein, aber sie sind notwendig, um der Menschheit eine Zukunft zu schaffen. Es kann erwartet werden, dass sie letztlich erfolgreich sind, denn sie sind vernünftig, logisch und ethisch.

Bradford Lyttle, USA, ist ein langjähriger Aktivist in den Anti-Atom-, Anti-Vietnam- und anderen Antikriegsbewegungen. Er ist der Gründer der Pazifistischen Partei, die sich für einseitige Abrüstung, Verteidigung durch gewaltfreien Widerstand und massive zivile Entwicklungshilfe einsetzt, um Armut weltweit zu überwinden. Er kann erreicht werden unter blyttle@igc.org.

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Menschenknochen als Kinderspielzeuge: Noch mehr massakrierte ungarische Juden unter Grazer Kindergarten vermutet! 7000 bis 8000 ungarische Juden wurden 1945 durch die Steiermark nach Graz getrieben, wo sie kurzfristig in das Lager Liebenau gesperrt wurden, ehe sie ihren Marsch nach Auschwitz fortsetzen sollten. Vielen von ihnen starben an Erschöpfung, Unterernährung. Sie wurden massakriert, erschossen und vor Ort verscharrt.”Niemand hatte ein Interesse, dieses schwarze Grazer Kapitel aufzuarbeiten. Auch von der Stadtregierung wird bis heute eine Mauer des Schweigens errichtet. Warum das Lager Liebenau “nach wie vor ein Grazer Tabuthema” sei, liegt für Possert auf der Hand: Das Herzstück der damaligen Grazer Industrie, die Puchwerke, hatte von den hier inhaftierten Zwangsarbeitern – ein ebenfalls nicht aufgearbeitetes Thema – profitiert. Es habe zudem zahlreiche Mittäter gegeben, die viellicht heute noch lebten. Und schließlich: Ein verdrängtes NS-Lager mache sich für die “Stadt der Menschenrechte” nicht wirklich gut, meint Possert.

30 Wednesday Apr 2014

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Neue Details eines Grazer Tabuthemas

WALTER MÜLLER
29. April 2014, 17:46
  • Jetzt aufgetauchte Luftbilder aus dem Jahr 1945 weisen Bombentrichter auf, in denen womöglich ermordete Lagerinsassen verscharrt worden sind, vermutet der Grazer Arzt Rainer Possert.

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    Jetzt aufgetauchte Luftbilder aus dem Jahr 1945 weisen Bombentrichter auf, in denen womöglich ermordete Lagerinsassen verscharrt worden sind, vermutet der Grazer Arzt Rainer Possert.


Im ehemaligen NS-Lager im Grazer Bezirk Liebenau könnten wesentlich mehr ungarische Juden begraben liegen als bisher angenommen – unter anderem auch unter einem erst 1992 errichteten Kindergarten. Luftaufnahmen geben neue Hinweise

Graz – Es waren die seltsamen Geschichten seiner Patienten, die den praktischen Arzt Rainer Possert hellhörig gemacht hatten. Als Kinder im südlichen Grazer Bezirk Liebenau hätten sie nach dem Krieg oft mit Menschenknochen gespielt und seien in unterirdische Gänge gekrochen. Von NS-Massengräbern und Leichengeruch sei die Rede gewesen. Possert begann zu recherchieren und stieß auf Arbeiten der jungen Historikerin Barbara Stelzl-Marx, die 2013 erstmals das NS-Lager Liebenau dokumentiert hatte.

7000 bis 8000 ungarische Juden wurden 1945 durch die Steiermark nach Graz getrieben, wo sie kurzfristig in das Lager Liebenau gesperrt wurden, ehe sie ihren Marsch nach Auschwitz fortsetzen sollten. Vielen von ihnen starben an Erschöpfung, Unterernährung. Sie wurden massakriert, erschossen und vor Ort verscharrt.

Rund 60 Leichen wurden nach dem Krieg exhumiert, 1947 wurden zwei Lagerleiter zum Tode verurteilt. Seither verschwand das Liebenauer Lager aus dem kollektiven Bewusstsein. “Niemand hatte ein Interesse, dieses schwarze Grazer Kapitel aufzuarbeiten. Auch von der Stadtregierung wird bis heute eine Mauer des Schweigens errichtet”, sagt Possert.

“Mit Leichen aufgefüllt”

Der Arzt recherchierte auf eigene Faust, holte sich junge Historiker zu Rate und organisierte in den vergangenen Monaten Luftaufnahmen. Aufgrund des neuen Datenmaterials sei nicht auszuschließen, sagt Possert, dass hier mitten im Grazer Wohngebiet, womöglich auch unter dem Kindergarten, weitere hunderte Leichen verscharrt lägen. Die Luftaufnahmen aus dem Jahr 1945 belegten, dass Bombentrichter, von denen bisher nichts bekannt war, binnen kürzester Zeit – zu einem Zeitpunkt, als die ungarischen Juden hier vor Ort inhaftiert waren – “mit Leichen aufgefüllt” worden seien.

“Es wäre ein Leichtes, das nachzuprüfen, aber niemand in der Stadt zeigt irgendein Interesse daran”, sagt Possert. Vielmehr habe er den Eindruck dass aktiv “vertuscht” werde. Denn bei der Errichtung des Kindergartens seien während der Grabungsarbeiten zwei Leichen geborgen worden. Danach sei das Areal zubetoniert worden. Possert: “Es existieren im Stadtarchiv keinerlei Dokumente mehr darüber.”

“Ort des Grauens”

In der Nähe des Kindergartens steht das letzte noch aus dieser Zeit stammende Haus, die mögliche NS-Kommandozentrale des Lagers. Es gibt auch hier keine historischen Dokumente, sagt Possert. Heute sind Sozialwohnungen und ein Jugendzentrum untergebracht, früher war ein “Konsum” eingerichtet und der Kindergarten. Der Keller blieb weitgehend unberührt und wurde historisch nie aufgearbeitet. Possert hat – nach langen Anfragen – von der zuständigen KP-Wohnungsstadträtin Elke Kahr die Erlaubnis erhalten, den Keller zu inspizieren.

Possert im STANDARD-Gespräch: “Ein Ort des Grauens, es existiert noch eine Art Verhörzelle, Verließtüren, irgendwann nach dem Krieg dürfte ein Teil als Selchkammer verwendet worden sein. Und ein paar Meter weiter oben gab es einen Kindergarten.”

Warum das Lager Liebenau “nach wie vor ein Grazer Tabuthema” sei, liegt für Possert auf der Hand: Das Herzstück der damaligen Grazer Industrie, die Puchwerke, hatte von den hier inhaftierten Zwangsarbeitern – ein ebenfalls nicht aufgearbeitetes Thema – profitiert. Es habe zudem zahlreiche Mittäter gegeben, die viellicht heute noch lebten. Und schließlich: Ein verdrängtes NS-Lager mache sich für die “Stadt der Menschenrechte” nicht wirklich gut, meint Possert.(Walter Müller, DER STANDARD, 30.4.2014)

http://derstandard.at/1397522020065/Neue-Details-eines-Grazer-Tabuthemas

Die gegen afrikanische Soldaten der französischen Armee begangenen Massaker der Wehrmacht sind vielen Deutschen immer noch nicht bekannt: Die Wehrmacht erschoss am 24. Mai 1940 zum ersten Mal Unbewaffnete. In Aubigny, einem Dorf am Südufer der Somme im Norden Frankreichs, erschossen Angehörige der 13. Infanterie Division fünfzig verwundete Afrikaner. Eine erneute Demontage der deutschen Wehrmacht Auch der so genannte Westfeldzug gegen Frankreich war kein „sauberer Krieg“, wie Raffael Scheck in seiner Studie „Hitlers afrikanische Opfer“ zu zeigen weiß. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges mobilisierte Frankreich rund 60.000 schwarze Soldaten aus Westafrika, die unter Führung zumeist weißer Offiziere in so genannten Kolonialinfanterieregimentern gegen Hitlers Wehrmacht kämpfen sollten. Gut ein Viertel von ihnen überlebte den Krieg nicht. Andere Schätzungen gehen sogar von 17.000 umgekommenen Schwarzafrikanern aus. Im Vergleich zu den Verlustziffern der übrigen weißen Regimenter lag die Zahl der getöteten schwarzen Soldaten um das Zehnfache höher. Wahrscheinlicher ist, dass der außergewöhnlich hohe Blutzoll der Schwarzafrikaner durch gezielte Tötungen der Wehrmacht zustande gekommen ist, deren Verbände wiederholt im Kampf gegen Senegalschützen keine Gefangenen machten. Zwischen dem 24. Mai und dem 22. Juni 1940 lassen sich auf der Grundlage von Augenzeugenangaben, Tagebucheintragungen und den Akten französischer Militärbehörden mehr als 30 Fälle belegen, in denen deutsche Soldaten der verschiedensten Verbände an der Tötung von schwarzafrikanischen Kriegsgefangenen, meist unmittelbar nach den Kampfhandlungen beteiligt waren.

22 Tuesday Apr 2014

Posted by wirwollenkeinenkrieg in Afrika, Aus der Geschichte lernen, Dritte Welt in den Weltkriegen, Massaker, Weltkriege

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70 Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkriegs ist das ganze Ausmaß der Verbrechen, die von der deutschen Wehrmacht verübt wurden, noch nicht bekannt. Dass diese Armee schon 1940 aus rassistischen Motiven mordete und die Genfer Kriegskonvention systematisch verletzte, ist in Deutschland nahezu unbekannt.
Nach den Dokumenten, die Raffael Scheck in seiner Untersuchung vorlegt, liquidierte die Wehrmacht am 24. Mai 1940 zum ersten Mal Unbewaffnete. In Aubigny, einem Dorf am Südufer der Somme im Norden Frankreichs, erschossen Angehörige der 13. Infanterie Division fünfzig verwundete Afrikaner. Sie waren von ihren sich zurückziehenden französischen Einheiten zurückgelassen worden.
http://www.deutschlandfunk.de/massaker-an-schwarzen-franzoesischen-soldaten.1310.de.html?dram:article_id=193890


Massaker an schwarzen französischen Soldaten (Archiv)
70 Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkriegs ist das ganze Ausmaß der Verbrechen, die von der deutschen Wehrmacht verübt wurden, noch nicht…
DEUTSCHLANDFUNK.DE

Eine erneute Demontage der deutschen Wehrmacht

Auch der so genannte Westfeldzug gegen Frankreich war kein „sauberer Krieg“, wie Raffael Scheck in seiner Studie „Hitlers afrikanische Opfer“ zu zeigen weiß

Von Klaus-Jürgen Bremm

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges mobilisierte Frankreich rund 60.000 schwarze Soldaten aus Westafrika, die unter Führung zumeist weißer Offiziere in so genannten Kolonialinfanterieregimentern gegen Hitlers Wehrmacht kämpfen sollten. Schon im Ersten Weltkrieg hatte die französische Armee auf diese Aushilfe zurückgreifen müssen, um ihre horrenden Verluste an der Westfront auszugleichen. Rund 40.000 der „Senegalschützen“ (Tirailleurs Sénégaloises) gelangten tatsächlich im Frühsommer 1940 im Dienste der untergehenden 3. Republik gegen die Deutschen zum Einsatz.

Gut ein Viertel von ihnen überlebte den Krieg nicht. Andere Schätzungen gehen sogar von 17.000 umgekommenen Schwarzafrikanern aus. Im Vergleich zu den Verlustziffern der übrigen weißen Regimenter lag die Zahl der getöteten schwarzen Soldaten um das Zehnfache höher, was jedoch kaum bedeuten konnte, dass die afrikanischen Regimenter um ein vielfaches hartnäckiger als die Angehörigen des Mutterlandes gekämpft hatten. Wahrscheinlicher ist, dass der außergewöhnlich hohe Blutzoll der Schwarzafrikaner durch gezielte Tötungen der Wehrmacht zustande gekommen ist, deren Verbände wiederholt im Kampf gegen Senegalschützen keine Gefangenen machten. Schon kurz nach dem Krieg war auch von Massakern einzelner Wehrmachtsverbände an gefangenen Senegalesen die Rede, teilweise ermittelten auch die französischen Behörden, doch ein Gesamtbild der düsteren Geschehnisse in dem angeblich so sauberen Westfeldzug von Hitlers Wehrmacht fehlte bisher.

Der in den Vereinigten Staaten lehrende Historiker Raffael Scheck ist nun in seiner kleinen und sehr differenzierten Studie über Hitlers afrikanische Opfer den zahlreichen Hinweisen nachgegangen, die über Massaker von Wehrmachtsverbänden an gefangenen Schwarzafrikanern berichten. Zwischen dem 24. Mai und dem 22. Juni 1940 lassen sich auf der Grundlage von Augenzeugenangaben, Tagebucheintragungen und den Akten französischer Militärbehörden mehr als 30 Fälle belegen, in denen deutsche Soldaten der verschiedensten Verbände an der Tötung von schwarzafrikanischen Kriegsgefangenen, meist unmittelbar nach den Kampfhandlungen beteiligt waren.

Das wohl größte Massaker, dem rund 150 Schwarzafrikaner zum Opfer fielen, fand am 10. Juni 1940 in der Nähe der Ortschaft Erquinvillers unweit der Somme statt. Beteiligt waren Einheiten des Infanterie-Regiments Großdeutschland, ein Eliteverband, der aus den Angehörigen des Berliner Wachbataillons hervorgegangen war, sowie der 9. Infanterie-Division. Beide Verbände traten in dieser Hinsicht noch mehrfach in Erscheinung. Bei Chasseley in der Nähe von Lyon wurden am 20. Juni 1940 rund 60-70 gefangene Senegalschützen, die sich zwei Tage in einem Schloss gegen Einheiten des Infanterieregimentes Großdeutschland verteidigt hatten, ehe ihnen die Munition ausging, von ihren weißen Offizieren getrennt und mit Maschinengewehrsalven aus eigens aufgefahrenen Panzern der 10. Panzerdivision kaltblütig niedergemetzelt. Die Verwundeten und Toten wurden anschließend von den Panzern überfahren und mit den Ketten zermalmt, eine danteske Schreckensvision, wie ein französischer Augenzeuge fassungslos kommentierte.

Auch wenn es die inzwischen belegten Ereignisse nicht mehr gestatten, von Einzelfällen zu sprechen, so vermutet Scheck doch hinter den deutschen Kriegsverbrechern kein planvolles Vorgehen der übergeordneten militärischen Führung, sondern vielmehr eine komplexe Mischung aus kulturellen Ressentiments und Widerwillen gegen die ungewohnte Kampfweise von Schwarzafrikanern, denen man oft fälschlicherweise unterstellte, sie würden gegen das Kriegsvölkerrecht verstoßen. Auch eine gewisse gewalttätige Vorprägung spielte teilweise eine Rolle. Nachweislich hatten sich Verbände, die sich in Frankreich der Ermordung schwarzafrikanischer Gefangener schuldig machten, wie etwa das 41. Infanterieregiment, schon während des Polenfeldzuges an der Ermordung von Zivilpersonen beteiligt, die aus deutscher Sicht ebenfalls als „rassisch minderwertig“ galten. Befeuert wurde die Kette deutscher Mordtaten allerdings auch von einer Goebbels’schen Propaganda, die gerade mit Beginn der zweiten Phase des Westfeldzuges seit Ende Mai 1940 ihre bisherige Zurückhaltung aufgab und plötzlich im großen Stil über angebliche Gräueltaten französischer Soldaten berichtete, an denen natürlich auch, gemäß der gängigen kulturellen Argumentationsmuster, Schwarzafrikaner beteiligt waren.

Deutsche Vorwürfe gegen ein Frankreich, das sich mit Hilfe von „Negern“ verteidigen musste, hatte es schon seit dem Ersten Weltkrieg, vor allem aber in der Besatzungszeit nach 1918 gegeben. Kinder aus Mischbeziehungen zwischen einheimischen deutschen Frauen und schwarzen Besatzungssoldaten wurden im „Dritten Reich“ zwangssterilisiert. Nun aber war das Nachbarland jenseits des Rheins aus der Perspektive nationalsozialistischer Propaganda sogar auf dem besten Wege, zu einer „rassisch gemischten“ Nation zu werden, die nach den Worten von NS-Chefideologe Alfred Rosenberg die eigene „Mulattisierung“ zum politischen Prinzip erhoben habe.

Gewiss mögen derartig abstruse Phobien vor einem nun sogar in doppelter Hinsicht fremdartigen Frankreich nicht in allen Wehrmachtsverbänden eine Rolle gespielt haben, doch die deutsche Wut auf weiße französische Offiziere, die Schwarzafrikaner im Kampf gegen Angehörige der eigenen Rasse angeführt hatten, ist mehrfach belegt, und führte auch wiederholt zu Erschießungen von Angehörigen sogar dieser Personengruppe. Vergessen war da schon, dass doch der hoch angesehene General Paul von Lettow-Vorbeck als Kommandeur der deutschen Schutztruppe in Ostafrika genau das gleiche getan hatte.

Schecks Studie besticht nicht allein durch seine ausgewogene Darstellung der Ereignisse, die eine Generalanklage gegen die Wehrmacht zwar vermeidet, aber auch ohne Beschönigungen versucht, die im Einzelfall durchaus differierenden Auslöser der Kriegsverbrechen zu rekonstruieren und in einen Zusammenhang zu stellen. Dank seiner sorgfältiger Herausarbeitung der kulturellen Prägungen auf deutscher Seite, die wiederum die Wahrnehmungen von Gefechtssituationen gegen einen fremdartigen Gegner bestimmten, gelingt es ihm, ein konzises Gesamtbild zu entwerfen: Auch der so genannte Westfeldzug der deutschen Wehrmacht war kein „sauberer Krieg“.

Titelbild

Raffael Scheck: Hitlers afrikanische Opfer. die Massaker der Wehrmacht an schwarzen französischen Soldaten.
Übersetzt aus dem Englischen von Georg Felix Harsch.
Assoziation A, Berlin 2009.
200 Seiten, 20,00 EUR.
ISBN-13: 9783935936699

Weitere Informationen zum Buch

http://www.literaturkritik.de/public/rezension.php?rez_id=14998

Heute vor 99 Jahren: Nicht Russen oder Muslime: Deutschland setzt im Ersten Weltkrieges bei Ypern in Belgien als erstes Land in der Geschichte Giftgas in großem Umfang ein. 5.000 französische Soldaten werden durch Chlorgas sofort getötet, doppelt so viele schwer verletzt.

22 Tuesday Apr 2014

Posted by wirwollenkeinenkrieg in Aus der Geschichte lernen, Chemische und Biologische Waffen

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Heute vor 99 Jahren:
Deutschland setzt im Ersten Weltkrieges bei Ypern in Belgien als erstes Land in der Geschichte Giftgas in großem Umfang ein.
5.000 französische Soldaten werden durch Chlorgas sofort getötet, doppelt so viele schwer verletzt.

 

  • Edith Friedlhttp://de.wikipedia.org/…/Gaskrieg_w%C3%A4hrend_des…

    Gaskrieg während des Ersten Weltkrieges – Wikipedia

    de.wikipedia.org

    Der Einsatz von Chlorgas durch deutsche Truppen am 22. April 1915 gilt als Begin… Mehr anzeigen
    vor 41 Minuten · Gefällt mir
  • Edith Friedlhttp://de.wikipedia.org/wiki/Giftgas

    Chemische Waffe – Wikipedia

    de.wikipedia.org

    Chemische Waffen (auch Chemiewaffen) sind toxisch wirkende, feste, flüssige oder… Mehr anzeigen

 

 

Japanische Regierung ehrt die Kriegsverbrecher und provoziert die Länder, die unendliches Leid während der japanischen Besetzung erlebt haben. Von japanischen Streitkräften wurden während des Zweiten Weltkrieges zahlreiche Kriegsverbrechen in China, dem pazifischen Raum, Südostasien und dem indonesischen Archipel verübt. Dabei wurden Millionen von Zivilisten und Kriegsgefangenen gezielt ermordet. Japan war Kriegs-Verbündeter Hitlerdeutschlands. Kritiker werfen den Japanern seit langem vor, ihre Vergangenheit nie kritisch aufgearbeitet zu haben.

13 Sunday Apr 2014

Posted by wirwollenkeinenkrieg in Asien, Aus der Geschichte lernen

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Japanischer Innenminister besucht umstrittenen Yasukuni-Schrein

12. April 2014, 09:42

Nachbarländer sehen in Gedenkort Symbol für früheren Militarismus

Tokio – Erneut hat ein japanisches Regierungsmitglied den umstrittenen Yasukuni-Schrein in Tokio besucht. Innen- und Kommunikationsminister Yoshitaka Shindo habe am Samstag den vor allen bei den Nachbarstaaten umstrittenen Gedenkort aufgesucht, berichteten die japanischen Medien.

In dem Schrein wird der 2,5 Millionen japanischen Todesopfer des Zweiten Weltkriegs gedacht. Chinesen und Koreaner sehen in ihm eine Verherrlichung der dunkelsten Kapitel der japanischen Geschichte, weil dort auch 14 verurteilte Kriegsverbrecher geehrt werden. Besuche von Mitgliedern der Regierung in dem Schrein sorgen immer wieder für Empörung bei den Nachbarländern.

Inmitten von Territorialstreitigkeiten mit China und Südkorea hatte Japans Ministerpräsident Shinzo Abe am 26. Dezember den Schrein besucht – genau ein Jahr nach seinem Amtsantritt. Die Entscheidung stieß damals auf scharfe Kritik in Peking und Seoul, Washington zeigte sich ebenfalls “enttäuscht” von dem Schritt. Innenminister Shindo suchte den Schrein seit seinem Amtsantritt wiederholt auf.

Japan hatte während des Zweiten Weltkriegs die koreanische Halbinsel, große Teile Chinas sowie mehrere Länder Südostasiens besetzt. Der Krieg ging erst am 15. August 1945 mit der Kapitulation Japans zu Ende, nachdem die USA zwei Atombomben auf die Städte Hiroshima und Nagasaki abgeworfen hatten. Kritiker werfen den Japanern seit langem vor, ihre Vergangenheit nie kritisch aufgearbeitet zu haben. (APA, 12.4.2014)

http://derstandard.at/1395365058285/Japanischer-Innenminister-besucht-umstrittenen-Yasukuni-Schrein

File:Chinese killed by Japanese Army in a ditch, Hsuchow.jpg

Hsuchow, China, 1938. Ein Graben mit Leichen chinesischer Zivilisten, getötet von japanischen Soldaten[1]

Kriegsverbrechen der japanischen Streitkräfte im Zweiten Weltkrieg

Hsuchow, China, 1938. Ein Graben mit Leichen chinesischer Zivilisten, getötet von japanischen Soldaten[1]

Von japanischen Streitkräften wurden während des Zweiten Weltkrieges zahlreiche Kriegsverbrechen in China, dem pazifischen Raum, Südostasien und dem indonesischen Archipel verübt. Dabei wurden Millionen von Zivilisten und Kriegsgefangenen gezielt ermordet.[2][3][4][5][6] Diese Kriegsverbrechen sind auch bekannt als „Asiatischer Holocaust“[7] und fanden etwa zur gleichen Zeit wie die Verbrechen des Nationalsozialismus in Europa statt.

Manchmal werden auch japanische Kriegsverbrechen hinzugezählt, die im Zuge der Besetzung der Mandschurei seit 1931 sowie der Eingliederung Koreas vor dem Zweiten Weltkrieg begangen wurden.

 

Inhaltsverzeichnis

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  • 1 Einleitung
  • 2 Definitionen
    • 2.1 Internationales Recht
    • 2.2 Internationale Verträge Japans
    • 2.3 Japanisches Recht
    • 2.4 Historische und geographische Ausdehnung
  • 3 Hintergrund
    • 3.1 Japanisches Militär, Kultur und Imperialismus
    • 3.2 Die Ereignisse der 1930er und 1940er Jahren
  • 4 Verbrechen
    • 4.1 Massentötungen
    • 4.2 Massaker an alliierten Soldaten
    • 4.3 Strategie der verbrannten Erde
    • 4.4 Einsatz chemischer und biologischen Waffen
    • 4.5 Menschenversuche
    • 4.6 Hungerkatastrophen in besetzten Ländern
    • 4.7 Folter von Kriegsgefangenen
    • 4.8 Kannibalismus
    • 4.9 Zwangsarbeit
    • 4.10 Trostfrauen
    • 4.11 Plünderungen
  • 5 Kriegsverbrecherprozesse
    • 5.1 Tokioter Prozesse
    • 5.2 Andere Gerichtsverfahren
  • 6 Nachkriegszeit Ereignisse und Reaktionen
    • 6.1 Bewährung für Kriegsverbrecher
    • 6.2 Offizielle Entschuldigung
    • 6.3 Wiedergutmachung
      • 6.3.1 Zwischenausgleich
      • 6.3.2 Entschädigung im Rahmen des San-Francisco-Vertrags
        • 6.3.2.1 Entschädigung durch japanisches Auslandsvermögen
        • 6.3.2.2 Entschädigung der alliierten Kriegsgefangenen
        • 6.3.2.3 Entschädigung der von 1941 bis 1945 besetzten Länder
        • 6.3.2.4 Entschädigungsfrage in Japan
    • 6.4 Vergangenheitsbewältigung in Japan
    • 6.5 Umstrittene Neuinterpretationen außerhalb Japans
    • 6.6 Spätere Ermittlung von Kriegsverbrechern
    • 6.7 Wissenschaftliche Rezeption der Ereignisse
  • 7 Siehe auch
  • 8 Literatur
  • 9 Weblinks
  • 10 Einzelnachweise

 

Einleitung[Bearbeiten]

Das Kaiserreich Japan war Anfang des 20. Jahrhunderts die einzige Industrienation Asiens und spielte im Vergleich zu seinem Nachbarn China eine große Rolle in der Weltpolitik. So war man 1905 aus dem Russisch-Japanischen Krieg siegreich hervorgegangen und kämpfte sowohl im Ersten Weltkrieg auf Seiten der Entente Cordiale mit, als auch im Russischen Bürgerkrieg auf Seiten der Weißen Armee. Dabei verlor die Kaiserliche Armee (wie schon seit über hundert Jahren) kein einziges bedeutendes Gefecht. Das daraus resultierende Überlegenheitsgefühl vermischte sich zusammen mit Japans wachsendem Bedarf an Rohstoffen zu einem zunehmenden Nationalismus. Durch vorangegangene Kriege und Konflikte (unter anderem mit China) war es dem Kaiserreich schon gelungen, sich bedeutende Gebiete einzuverleiben (Taiwan, Süd-Sachalin, Korea). Beim Friedensvertrag von Versailles hatte man große Teile der deutschen Kolonie Deutsch-Neuguineazugesprochen bekommen.

Am 18. September 1931 verübten japanische Offiziere einen Sprengstoffanschlag auf die Mukden-Eisenbahn in der Mandschurei (siehe Mukden-Zwischenfall). Für den Anschlag wurden Chinesen verantwortlich gemacht, und er diente als Vorwand, um zusätzlich zu den bereits im Nordosten Chinas stehenden japanischen Truppen endgültig in die Mandschurei einzumarschieren. Zu dieser Zeit kam es zu ersten Kriegsverbrechen (Massaker von Pingdingshan).

Die Verbrechen geschahen aus unterschiedlichen Motiven und fanden oft auf Anweisung des Regimes des japanischen Kaiserreichs statt oder wurden von Soldaten der Kaiserlich Japanischen Armee vor Ort verübt. Bei japanischen Einmärschen in sich ergebende Städte kam es zu großen Massakern wie 1937 bei Nanking (Massaker von Nanjing) oder im Verlauf von Kämpfen wie 1945 in Manila auf Anweisung aus Tokio. In anderen Fällen wurden gezielt ethnische Gruppen das Ziel von Massenmorden, wie die Chinesen der Malayischen Halbinsel Sook-Ching-Massaker, oder es wurden bei der Partisanenbekämpfung ganze Landstriche präventiv entvölkert. Nach dem ersten amerikanischen Luftangriff auf Japan, dem Doolittle Raid, stürzten einige der Piloten über einem von der Kaiserlich Japanischen Armeebesetzten Teil Chinas ab und wurden von der Bevölkerung versteckt. Daraufhin setzten die japanische Luftwaffe und Sondereinheiten der Armee als Vergeltungsaktion biologische Kampfstoffe in den Provinzen Zhejiang und Jiangxi ein. Dabei wurden Schätzungen zufolge 250.000 Zivilisten getötet.[8][9] Anderen Quellen zufolge wurden bei der Such- und Vergeltungsaktion über eine Million Zivilisten getötet.[10] Außerdem starben Millionen Menschen in Zwangsarbeitslagernund bei – durch das japanische Besatzungssystem verursachten – Hungerkatastrophen (vor allem in Indonesien und Indochina).[11]

Weiterhin wurden von japanischen Armeeeinheiten (beispielsweise der Einheit 731) zahlreiche Menschenversuche durchgeführt, unter anderem die Erprobung vonbiologischen und chemischen Waffen an lebenden Menschen. Andere dieser Verbrechen waren rassistisch motiviert wie das Sook-Ching-Massaker. Dies hing damit zusammen, dass in der Meji-Zeit in Japan die Vorstellung entstanden war, dass die eigene „Rasse“ höherwertig war als alle anderen. Die anderen asiatischen Völkerwurden als minderwertig (unter dem eigenen stehend) und nur dem Nutzen dienend empfunden.

Geschichtliche Hypotheken überschatten bis heute das japanisch-chinesische Verhältnis: Bronze im Nanjing Massacre Museum

Definitionen[Bearbeiten]

Es gibt von Land zu Land Unterschiede hinsichtlich der Definition der japanischen Kriegsverbrechen. Kriegsverbrechen können weitgehend durch die Charta von Nürnberg als „Verstöße gegen die Gesetze oder Gebräuche des Krieges” definiert werden, die durch ein gewissenloses Verhalten von einer Regierung oder von militärischen Streitkräften, gegen feindliche Zivilpersonen oder feindliche Kombattanten hervorgerufen wurden.[12] Für die Durchführung einer Reihe von Menschenrechtsverletzungen gegen Zivilisten und Kriegsgefangenen in ganz Ostasien und der westlichen Pazifikregion wurde militärisches Personal des Kaiserreichs Japan vor Gericht verurteilt. Diese Ereignisse erreichten ihren Höhepunkt während des Zweiten Japanisch-Chinesischen Krieges von 1937 bis 1945 und der asiatischen und pazifischen Aktionen des Zweiten Weltkriegs (1941–1945).

In Japan selbst werden die einzelnen Ereignisse oder auch Einzelheiten von Kriegsverbrechen oft von japanischen Nationalisten wie Tsukurukai (Society for History Textbook Reform) bestritten. Solche Organisationen und ihre Aktivitäten sind Gegenstand von Kontroversen des historischen Revisionismus,[13] insbesondere im „Schulbuchstreit“.

Internationales Recht[Bearbeiten]

Obwohl das Kaiserreich Japan die Genfer Konventionen, die seit 1864 die Standard-Definition von Kriegsverbrechen festlegen, nicht unterzeichnet hat, ist es dennoch bezüglich der Kriegsverbrechen an internationales und japanisches Recht gebunden. Viele der Verbrechen, die von den kaiserlichen Streitkräften begangen wurden, waren auch nach dem japanischen Code-Kriegsrecht strafbar, das aber von den japanischen Behörden entweder ignoriert oder nicht durchgesetzt wurde.[14] Das Kaiserreich Japan verstieß auch gegen Bestimmungen des Vertrags von Versailles wie Artikel 171, der den Einsatz von Giftgas (chemische Waffen) verbietet. Desgleichen wurden andere internationale Vereinbarungen wie die Haager Konventionen von 1899 und 1907, die den Schutz von Kriegsgefangenen enthält und auch von Japan unterzeichnet wurde, missachtet.[15] Nach Ansicht des Historikers Akira Fujiwara ratifizierte am 5. August 1937 derjapanische Kaiser Hirohito persönlich die Haager Konventionen von 1899 und 1907, wobei er von seinem Generalstabschef des Heeres Prinz Kanin einen Satz über die Behandlung von chinesischen Gefangenen entfernen ließ, um die Einschränkung dieses Übereinkommens zu umgehen.[16]

Internationale Verträge Japans[Bearbeiten]

In Japan bezieht sich der Begriff „japanische Kriegsverbrechen“ in der Regel auf Fälle, die gegen Verantwortliche der japanischen Kaiserlichen Armee durch das Internationale Militärtribunal für den Fernen Osten, auch als Tokioter Prozesse bekannt, nach dem Ende des Pazifischen Krieges angeklagt und verurteilt wurden. Gegen Kriegsverbrechen, die von Offizieren, sowie von Unteroffizieren oder Soldaten, gemäß der B- und C-Klassifizierung von Kriegsverbrechen verübt wurden, erhoben die Tokioter Prozesse keine Anschuldigungen. Diese Verfahren wurden im ganzen asiatischen Raum vor den Kriegsgerichten oder militärischen Kommissionen getrennt behandelt.[17][18]

Die japanische Regierung vertritt den Standpunkt, dass Japan nicht zu den Unterzeichnerstaaten der Genfer Konventionen gehört und somit nicht gegen dasVölkerrecht verstoßen habe. Ferner vertritt sie die Auffassung, dass die alliierten Staaten bei Handlungen gegen japanische Zivilisten und Kriegsgefangene, einschließlich der Internierung ethnischer Japaner sowie der Bombardierung von Tokio und den Atombombenabwürfen von Hiroshima und Nagasaki, nicht gegen die Genfer Konvention verstoßen haben.

Die japanische Regierung hat im April 1929 den Kellogg-Briand-Pakt unterzeichnet, in dem insbesondere der aus nationalen Interessen geführte Angriffskrieg für völkerrechtswidrig erklärt wurde. Daraus resultierte, dass Japan wegen seiner Aktionen von 1937 bis 1945 wegen “Verbrechen gegen den Frieden“ angeklagt wurde.[19] Dieser Anklagepunkt wurde bei den Tokioter Prozessen eingeführt, um die Verfolgung der sogenannten „A-Klasse-Kriegsverbrecher“, denen allesamt Verbrechen gegen den Frieden vorgeworfen wurden, zu ermöglichen.[20] Die Unterteilung in A-, B- und C-Klasse-Kriegsverbrecher geht auf das Londoner Abkommen der Alliierten vom August 1945 zurück. Als Kriegsverbrecher der A-Klasse wurden die sogenannten Hauptkriegsverbrecher, die politisch-militärische Führungsriege Japans, klassifiziert, die allesamt wegen „Verbrechen gegen den Frieden” vor einem international besetzten Tribunal angeklagt werden sollten. B- und C-Klasse-Kriegsverbrecher hingegen wurden in der Regel wegen herkömmlicher Kriegsverbrechen (Mord, Vergewaltigung und Misshandlung von Kriegsgefangenen oder Nichtkombattanten sowie anderer Verstöße gegen die Haager Landkriegsordnung, das Kriegsgewohnheitsrecht und Ähnliches) vor konventionellen Militärgerichten der Alliierten beziehungsweise der asiatischen Staaten, die Schauplatz der jeweiligen Verbrechen waren, angeklagt.[20] Von der japanischen Regierung sind jedoch keine Verurteilungen wegen solcher Verbrechen anerkannt worden, da der Kellogg-Briand-Pakt keine Vollstreckungstitel-Klausel enthält, die Strafen im Falle einer Vertragsverletzung vorsieht.

Mit der Unterzeichnung der bedingungslosen Kapitulation der japanischen Streitkräfte am 2. September 1945 akzeptierte die japanische Regierung die Bedingungen der Potsdamer Erklärung vom 26. Juli 1945. Daraus resultiert gemäß Artikel 10 der Erklärung, dass die japanische Nation weder zerstört noch das japanische Volk versklavt wird, doch würden Kriegsverbrecher hart bestraft. Die Demokratie und Menschenrechte müssten in Japan eingeführt werden.

Japanisches Recht[Bearbeiten]

Japan hatte den Asiatisch-Pazifischen Krieg (1931–1945) in Ost- und später in Südostasien als einen totalen Krieg weitgehend ohne Rücksicht auf die internationalen Normen des Kriegsrechts geführt. Die militärische Auseinandersetzung mit China wurde dabei von beiden Seiten ohne formale Kriegserklärung geführt, was sowohl die japanische Bezeichnung für den Konflikt ab 1937 als „Chinesischer Zwischenfall” in bewusster Abgrenzung zu einem Krieg mit seinen völkerrechtlichen Implikationen verdeutlichte als auch formaljuristisch eine Nichtanwendung des Kriegsvölkerrechts, gemäß Haager Abkommen und Genfer Konvention legitimierte.[21]

Verfolgt wurden Kriegsverbrechen – zumal selektiv – lediglich in der ersten Phase der Besatzungszeit. Dies führte zu dem Tokioter Prozess gegen die Kriegsverbrecher der Kategorie A, der von 1946 bis 1948 geführt wurde.[22] Die juristische Aufarbeitung wurde dabei von politisch-strategischen Überlegungen insbesondere der führenden Besatzungsmacht USA dominiert. Mit dem eskalierenden Kalten Krieg und dem „Gegenkurs”, dessen langfristiges Ziel die Einbeziehung des ehemaligen Kriegsgegners Japan in das westliche Lager war, verflog das Interesse der US-Amerikaner, japanische Kriegsverbrechen weiter zu thematisieren oder gar zu verfolgen. Entsprechend wurden 1948 nach den Urteilssprüchen des Internationalen Militärtribunals für den Fernen Osten auch keine Folgeprozesse, die ursprünglich analog zu Nürnberg geplant waren, anberaumt. Die für diese Folgeprozesse bereits inhaftierten Verdächtigen wurden ohne Gerichtsverfahren entlassen.[22] Da das japanische Strafrecht keinen Tatbestand des Kriegsverbrechens enthielt, leiteten die japanischen Justizbehörden auch nach der Rückgewinnung der vollen staatlichen Souveränität mit dem Friedensvertrag von San Francisco im Jahre 1952 keine Strafverfolgung gegen Kriegsverbrecher ein. Gleichwohl erkannte Japan, gemäß dem 11. Artikel des Friedensvertrags von San Francisco, die Urteilssprüche der Tokioter Prozesse an.[23] Mit dem Ende der Besatzungszeit wurde die Rehabilitierung der hingerichteten Kriegsverbrecher durch den japanischen Staat auch formaljuristisch besiegelt – die Behörden erkennen sie seitdem, rechtlich abgesichert durch das „Gesetz zur finanziellen Unterstützung für Hinterbliebene und Kriegsversehrte”, als „im öffentlichen Dienst“ gestorbene Personen an.[24]

Der ehemalige japanische Ministerpräsident Shinzo Abe hat die Position befürwortet, dass Japan das Tokio-Tribunal und seine Urteile als Bedingung für das Ende des Krieges annahm, aber dass seine Urteilssprüche keine Relation zum inländischen Recht haben. Entsprechend dieser Ansicht sind diejenigen, die der Kriegsverbrechen überführt werden, nicht Verbrecher unter japanischem Gesetz. Nach der Ansicht von Shinzo Abe standen sie wegen Verbrechen gegen Frieden und Menschlichkeit vor einem Gericht, das nach einem Konzept verurteilte, das von den Alliierten erst nach dem Krieg erstellt wurde und nicht im Gesetz verankert ist.[25]

Historische und geographische Ausdehnung[Bearbeiten]

Außerhalb Japans nutzen die unterschiedlichen Gesellschaften unterschiedliche Zeiträume bei der Festlegung der japanischen Kriegsverbrechen. Beispielsweise wurde die Annexion Koreas durch Japan im Jahre 1910 durch die Beraubung der bürgerlichen Freiheiten und Ausbeutung gegen das koreanische Volk als Kriegsverbrechen gewertet. Die Auflösung der Unabhängigkeitsbewegung vom ersten März im Jahre 1919 unter Anwendung von Gewalt oder die Ermordung von Königin Myeongseong, die per Attentat von der Gen’yōsha verübt wurde, da die Kaiserin an den Versuchen beteiligt war, den japanischen Einfluss in Korea zu reduzieren[26], gelten in Nord- und Südkorea als Kriegsverbrechen.[27] Im Vergleich dazu haben die Vereinigten Staaten erst ab 1941 in einem militärischen Konflikt mit Japan gestanden, sodass in den USA erst der Zeitraum 1941–1945 für die japanischen Kriegsverbrechen betrachtet werden.

Ein erschwerender Faktor für die internationale Definition von japanische Kriegsverbrechen ist, dass nur eine Minderheit der Bevölkerung der von den Japanern eroberten asiatischen und pazifischen Länder mit der Besatzungsmacht kooperiert hat. Sie diente für eine Vielzahl von Gründen, wie etwa wirtschaftliche Not, Zwang oder Antipathie zu anderen imperialistischen Mächten, sogar in den japanischen Streitkräften. Viele Koreaner dienten in den kaiserlichen Streitkräften. In der Formosa-Armee, die Teil der kaiserlichen japanischen Armee war, wurden die auf Formosa lebenden ethnischen Chinesen rekrutiert. Die Indian National Army unterSubhas Chandra Bose ist vielleicht das bekannteste Beispiel für eine Bewegung gegen den europäischen Imperialismus, der während des Zweiten Weltkriegs gegründet wurde, um das japanische Militär zu unterstützen.[28] Herausragende Einzelpositionen von Nationalisten in anderen Ländern sind der spätere indonesische Präsident Suharto, der auch in den japanischen kaiserlichen Truppen diente[29] oder der birmanische nationalistischen Führer Aung San, der zunächst einseitig mit den Japanern zusammen die Burma National Army bildete und sich im Frühjahr 1945 gegen die Japaner wandte.[30] In einigen Fällen waren auch Koreaner für Kriegsverbrechen verantwortlich, die von dem Kaiserreich Japan begangen wurden. Sie waren als Kommandeure und Wachen in Kriegsgefangenenlagern eingesetzt. Der niederländische Tribunalrichter und Gelehrte B.V.A. Roling stellte in den Tokioter Studien fest, dass die „koreanischen Wachen weitaus grausamer als die Japaner waren“.[31] Aus politischen Gründen wurden viele Kriegsverbrechen, die durch Nicht-Japaner begangen wurden, die in den kaiserlichen Streitkräften gedient hatten, nicht untersucht oder nach 1945 verfolgt. In Südkorea wird behauptet, dass solche Kriegsverbrecher ihren Reichtum durch die Teilnahme an ausbeuterischen Aktivitäten mit dem japanischen Militär erwarben und dass ehemalige Mitarbeiter einige „japanische Kriegsverbrechen” vertuscht haben, um der eigenen Strafverfolgung zu entgehen.

Es wurde argumentiert, dass die Handlungen gegen Menschen, die der japanischen Souveränität unterliegen, nicht als „Kriegsverbrechen” berücksichtigt werden können. Die Frage der japanischen De-jure-Souveränität über Länder wie Korea und Formosa in den Jahren vor 1945, ist eine Frage der Kontroverse. Durch denVertrag von Shimonoseki vom 17. April 1895, der insbesondere die Abtretung Taiwans, der Pescadores-Inseln sowie der Halbinsel Liaodong in der Mandschurei an Japan vorsah, sowie den Japan-Korea-Annexionsvertrag vom 22. August 1910, wurde die japanische Kontrolle über diese Gebiete akzeptiert und international anerkannt.[32]

Die Rechtmäßigkeit des Japan-Korea-Annexionsvertrags wird heute in Nord- und Südkorea bestritten, da dieser Vertrag aus deren Sicht nicht aus freiem Willen unterzeichnet wurde.[33]

Es gibt Behauptungen, dass Kriegsverbrechen auch noch begangen wurden, nachdem das Kaiserreich Japan offiziell am 14. August 1945 kapitulierte. Gemäß der Aussage von Captain Hoshijima Susumi wurden alliierte Kriegsgefangene, welche die Todesmärsche von Sandakan (Nord-Borneo) überlebten, noch zwei Wochen, nachdem der Kaiser die Kapitulationsurkunde unterzeichnet hatte, getötet.[34]

Hintergrund[Bearbeiten]

Japanisches Militär, Kultur und Imperialismus[Bearbeiten]

Vor allem während der imperialistischen Phase Japans hatte die militärische Kultur vor und während des Zweiten Weltkriegs einen großen Einfluss auf das Verhalten der japanischen Streitkräfte. Jahrhunderte zuvor wurde dem Samurai in Japan gelehrt, seinem Herren gegenüber bedingungslosen Gehorsam zu üben sowie im Kampf furchtlos zu sein. Nach der Meiji-Restauration im Jahr 1868 und dem Zusammenbruch des Tokugawa-Shogunats wurde der Kaiser der Schwerpunkt der militärischen Treue. Während des sogenannten „Age of Empire” im späten 19. Jahrhundert folgte Japan dem Beispiel der anderen Weltmächte in den Entwicklungsländern, nämlich mit der Entwicklung eines Imperiums. Diese Zielvorstellung wurde auch vom Kaiserreich aggressiv verfolgt.

Wie bei anderen imperialistischen Mächten wurde bis zum Ende des 19. Jahrhunderts und bis ins 20. Jahrhundert hinein die japanische Populärkultur zunehmend chauvinistisch. Der Aufstieg des japanischen Nationalismus wurde ab 1890 teilweise in der Annahme der Shinto als Staatsreligion einschließlich ihrer Verankerung im Bildungssystem gesehen. Amaterasu ist die wichtigste Gottheit des Shintō. Sie personifiziert die Sonne und das Licht und gilt als Begründerin des japanischen Kaiserhauses, wodurch der Kaiser für göttlich gehalten wurde. Diese Tatsache rechtfertigte die Forderung, dass dem Kaiser und seine Vertreter fraglos gehorcht werden müsse.

Der Sieg im ersten Sino-Japanischen Krieg (1894–1895) bedeutete Japans Aufstieg auf den Status einer großen militärischen Macht.

Im Gegensatz zu den anderen Großmächten hat Japan die Genfer Konvention nicht unterzeichnet. Dennoch wurde in einer kaiserlichen Proklamation von 1894 festgelegt, dass japanische Soldaten alle Anstrengungen unternehmen sollten, um den Krieg ohne eine Verletzung des internationalen Rechts zu gewinnen. Nach Ansicht des Historikers Yuki Tanaka veröffentlichten die japanischen Streitkräfte während des Ersten Japanisch-Chinesischen Krieg, dass 1790 chinesische Gefangene ohne Schaden blieben, wenn sie eine Vereinbarung unterzeichnen, nie wieder eine Waffe gegen Japan zu ergreifen.[35] Nach dem Russisch-Japanischen Krieg von 1904 bis 1905 wurden im Einklang mit dem Haager Übereinkommen, alle 79.367 russischen Kriegsgefangenen vom Kaiserreich freigelassen und für ihre geleistete Arbeit bezahlt.[35] Auch das Verhalten des japanischen Militärs im Ersten Weltkrieg (1914–1918) war mindestens so human wie die anderer Armeen, sodass sogar einige deutsche Kriegsgefangene, die in Japan inhaftiert waren, sich nach dem Krieg in Japan ansiedelten.[36][37]

Die Ereignisse der 1930er und 1940er Jahren[Bearbeiten]

Von den späten 1930er Jahren an schuf der Aufstieg des Militarismus in Japan zumindest oberflächliche Ähnlichkeiten zwischen der breiteren japanischen Militärkultur und der Kultur der militärischen Elite (Waffen-SS) im NS-Deutschland. Japan hatte auch eine militärische Geheimpolizei wie die Kempeitai, die der Nazi-Gestapo in ihrer Rolle in annektierten und besetzten Ländern ähnelte. Die Brutalität der Kempeitai war vor allem in der Kolonie Korea und den besetzten Gebieten berüchtigt. Die Kempeitai wurde auf dem japanischen Festland verabscheut, vor allem während des Zweiten Weltkriegs, als unter Premierminister Hideki Tojo(ehemals Kommandeur der Kempeitai der japanischen Armee in der Mandschurei 1935–1937) die Kempeitai ihre Macht ausgiebig nutzte, um die Treue der Japaner zum Krieg sicherzustellen. Unter Tojo wandelte die Kempeitai Japan zu einem Polizeistaat.[38] Eine unzulängliche Hingabe zum Kaiser bedeutete häufig eine körperliche Bestrafung. Das Schlagen von kaiserlichen Soldaten in den unteren Dienstgraden war alltäglich, aber die brutalsten Schläge erhielten die Soldaten, die sich in japanischer Kriegsgefangenschaft befanden.[39]

Verbrechen[Bearbeiten]

Wegen des schieren Ausmaßes des Leidens wird das japanische Militär während der 1930er und 1940er Jahre oft mit dem Militär NS-Deutschlands von 1933 bis 1945 verglichen. Ein Großteil der Kontroverse über die Rolle Japans im Zweiten Weltkrieg dreht sich um die Sterberaten von Kriegsgefangenen und Zivilisten unter japanischer Okkupation. Der Historiker Chalmers Johnson hat dazu geschrieben:

Es kann sinnlos sein, festzustellen, welcher Aggressor der Achsenmächte die Bevölkerung der besetzten Gebiete brutaler schikaniert hat: Deutschland oder Japan. Die Deutschen haben sechs Millionen Juden und 20 Millionen Russen (Sowjetbürger) getötet; die Japaner haben 30 Millionen Filipinos, Malaien, Vietnamesen, Kambodschaner, Indonesier und Birma (mindestens 23 Millionen von ihnen waren ethnische Chinesen) getötet. Beide Staaten plünderten die besetzten Länder, die sie auf einem monumentalen Maßstab erobert hatten, aus; obwohl die Japaner über einen längeren Zeitraum plünderten als die Nazis. Beide Eroberer haben Millionen Menschen als Zwangsarbeiter versklavt und ausgebeutet – und im Falle der Japaner auch als Prostituierte für die Fronttruppen gezwungen. Wenn ein Deutscher in England, Amerika, Australien, Neuseeland oder Kanada (nicht Russland) in Kriegsgefangenschaft geriet, so hatte er eine Chance von vier Prozent, den Krieg nicht zu überleben; Im Vergleich dazu lag die Sterbeziffer für Alliierte, die in japanische Kriegsgefangenschaft gerieten, bei fast 30 Prozent.[40]

Beim Tokioter Prozess wurde festgestellt, dass die Todesrate unter den Kriegsgefangenen aus asiatischen Ländern, die von Japan gefangengehalten wurden, bei 27,1 Prozent liegt.[41]

Die Sterblichkeitsrate der chinesischen Kriegsgefangenen war viel höher, weil in den Haager Konventionen, die durch Kaiser Hirohito am 5. August 1937 ratifiziert wurden, die Einschränkungen des Völkerrechts über die Behandlung von chinesischen Kriegsgefangenen entfernt wurde.[16] Nach der Kapitulation von Japan wurden durch die japanischen Behörden nur 56 chinesische Kriegsgefangene amtlich verzeichnet.[42] Nach dem 20. März 1943 wurde der japanischen Marine befohlen, alle Kriegsgefangenen, die auf See festgesetzt werden, hinzurichten.[43]

Massentötungen[Bearbeiten]

Das erste bekannte dieser Massaker war das Massaker von Pingdingshan am 16. September 1932, wo japanische Soldaten und Polizeikräfte zur Befriedung von Mandschukuo nach der Besetzung der Mandschurei das Dorf Pingdingshan für einen Stützpunkt einer Miliz hielten und deshalb die rund 3000 Einwohner zusammentrieben und am Fuß des Pingdingshan-Berges im südlichen Fushun töteten. Um das Verbrechen zu vertuschen, wurden die Leichen verbrannt und 800 Häuser des Dorfes angezündet. Bereits am 29. Januar 1932 hatten japanische Flugzeuge im Zuge der Schlacht um Shanghai Shanghai bombardiert. Dabei und im Laufe der folgenden Besetzung starben 18.000 Zivilisten.

Chinesische Zivilisten werden von japanischen Soldaten lebendig begraben.[44]

Nach dem japanischen Angriff auf China 1937 begannen die Massaker erneut, dieses Mal jedoch in einem weit größeren Ausmaß. Genau fünf Monate nach dem Zwischenfall an der Marco-Polo-Brücke erreichten japanische Truppen am 8. Dezember die chinesische Hauptstadt Nanjing und kesselten die Stadt ein. Fünf Tage später wurde die Stadt besetzt. Es kam zum sechs Wochen andauernden Massaker von Nanjing. Die Art der Tötungen war unterschiedlich. Zivilisten (Kinder und Kleinkinder eingeschlossen) und Kriegsgefangene wurden zu Tausenden mit dem Bajonett erstochen, erschossen, geköpft, ertränkt und lebendig begraben.[45][46] Insgesamt wurden bei dem Massaker 200.000 bis 300.000 Menschen ermordet.[47][48] Weitere Massaker unter zahlreichen ähnlichen Verbrechen waren das Massaker von Panjiayu oder dasMassaker von Changjiao, bei dem rund 30.000 Zivilisten getötet wurden.

Bei ihrem Eroberungsfeldzug in Südostasien plante die japanische Militärführung schon im Vorfeld organisierte Massentötungen von denen das Sook-Ching-Massaker an den ethnischen Chinesen der malaiischen Halbinsel vom 18. Februar bis 4. März 1942 das bekannteste ist.[49] Dabei wurden etwa 50.000 ethnische Chinesen durch Singapur geführt und an den Stränden massakriert. Insgesamt wurden auf der malaiischen Halbinsel etwa 90.000 Chinesen während der Sook-Ching-Massaker getötet.[50] Am 19. April 1942 ergaben sich die letzten amerikanischen und philippinischen Truppen auf den Philippinen. Es kam zum Todesmarsch von Bataan. Die Kriegsgefangenen mussten den ganzen Tag ohne Pause und ohne Wasser in der stechenden Sonne marschieren. Wer auf dem Marsch stehenblieb oder vor Erschöpfung umfiel, wurde mit dem Bajonett erstochen. Wer zu Bächen oder Quellen rannte, wurde erschossen. Insgesamt starben auf dem Todesmarsch von Baatan etwa 16.500 amerikanische und philippinische Kriegsgefangene. Die Zahl der getöteten Zivilisten, die den Marsch begleiten mussten, ist unbekannt.

Nach der Landung amerikanischer Truppen auf Luzon wurde die philippinische Hauptstadt Manila zum Schlachtfeld. Bei den Kämpfen verübten die Japaner auf Anweisung aus Tokio während der letzten drei Februarwochen 1945 das Massaker von Manila, bei dem etwa 100.000 Zivilisten ermordet wurden.[51] Es gab noch zahlreiche weitere Massaker an der Zivilbevölkerung, beispielsweise das Kalagon-Massaker, bei dem am 7. Juli 1945 die Bewohner von Kalagon (Burma), von den Mitgliedern der Kaiserlichen Japanischen Armee massakriert wurden. Frauen und Kinder wurden vergewaltigt und gefoltert. Die Einwohner wurden in Gruppen von fünf Personen zusammengefügt und mit verbundenen Augen zu den nahe gelegenen Brunnen gebracht, wo sie mit Bajonetten niedergestochen und die Leichen in den 22 Brunnen versenkt wurden. Bei diesem Massaker starben schätzungsweise 1.000 Dorfbewohner. Für dieses Massaker wurden 1946 vier japanische Soldaten als Kriegsverbrecher vor dem Tribunal in Rangun angeklagt.[52][53]

Als empirischer Forscher beschäftigte sich Rudolph Joseph Rummel, Professor für Politikwissenschaft an der Universität von Hawaii, vor allem mit Krieg, Genozid und politischem Massenmord. Im 3. Kapitel von Statistics of Japanese Democide heißt es, dass zwischen 1937 und 1945 das japanische Militär mindestens drei Millionen (vielleicht auch über zehn Millionen) Menschen ermordet habe. Wahrscheinlich sind sechs Millionen Menschen, unter anderem Chinesen, Indonesier, Koreaner, Filipinos und Indochinas einschließlich der westlichen Kriegsgefangenen umgekommen. „Dieser Demozid war einer moralisch bankrotten politischen und militärischen Strategie sowie der militärischen Zweckmäßigkeit und Sitte und der nationalen Kultur zuzuschreiben.“[54] Laut Rummel wurden von 1937 bis 1945 im Verlauf des Krieges 10,2 Millionen Menschen, davon allein in China als direkte Folge der japanischen Operationen etwa 3,9 Millionen (überwiegend Zivilisten) getötet.[55]

http://de.wikipedia.org/wiki/Kriegsverbrechen_der_japanischen_Streitkr%C3%A4fte_im_Zweiten_Weltkrieg

Nach hohen Wachstumsraten ist das immer noch vor allem über den Export von Rohstoffen in die Weltwirtschaft eingebundene Lateinamerika von einem Abschwung bedroht! Diese Wirtschaftsstruktur wurde dem Kontinent von den europäischen Mächten aufgezwungen. Und der Gegensatz zwischen Arm und Reich ist nirgends extremer! Die Ursachen dafür gehen zurück bis in die Kolonialzeit oder teilweise sogar davor. Die Kolonialherren schrieben die Ungleichheit sozusagen institutionell fest, indem sie den Einwohnern je nach Herkunft und Rasse unterschiedliche wirtschaftliche Tätigkeiten – und damit auch völlig ungleiche Einkommensaussichten – zuwiesen. Die grosse Ungleichheit und die grosse Armut sind nicht nur mit der menschlichen Würde unvereinbar. Sie bilden auch ein wichtiges Hindernis für die politische und wirtschaftliche Entwicklung der Region. So sind etwa grosse Teile der Gesellschaft von einer qualitativ akzeptablen Bildung oder einem funktionierenden Gesundheitssystem ausgeschlossen. Wenn aber ein substanzieller Teil der heranwachsenden Generationen keine vernünftige Schulbildung erhält, können die betroffenen Länder ihr Potenzial nicht ausschöpfen. Wer keine ausreichende Gesundheitsversorgung besitzt, wird im Arbeitsprozess nicht die volle Leistung erbringen. Schliesslich sind Armut und Ungleichheit auch Ursachen für die hohen Kriminalitätsraten.

12 Saturday Apr 2014

Posted by wirwollenkeinenkrieg in Aus der Geschichte lernen, Rohstoffe, Weltwirtschaft

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Nach dem Wachstum

Stunde der Wahrheit in Lateinamerika

Werner J. Marti Heute, 12. April 2014
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Wachstum dank Kupfer: In einer Kupfermine in der Nähe von Rancagua in Chile wird 300 Meter unter der Erde ein neuer Tunnel gegraben.
Wachstum dank Kupfer: In einer Kupfermine in der Nähe von Rancagua in Chile wird 300 Meter unter der Erde ein neuer Tunnel gegraben. (Bild: Felipe Trueba / keystone)
Wirtschaftlich kann Lateinamerika auf ein goldenes Jahrzehnt zurückblicken. Die Chance zur Reduzierung der Armut wurde aber sehr unterschiedlich wahrgenommen.

Lateinamerika hat sich seit der Jahrtausendwende hervorragender wirtschaftlicher Rahmenbedingungen erfreuen können. Der Kontinent, der bis heute in erster Linie vom Export von Rohstoffen lebt, profitierte von einer ungewöhnlichen Hausse an den internationalen Märkten. So stieg etwa der Preis der Sojabohnen, des grünen Goldes von Brasilien und Argentinien, auf das Dreifache. Das venezolanische Erdöl verteuerte sich um den Faktor vier, und der Preis von Kupfer, das für die chilenische und die peruanische Wirtschaft von grosser Bedeutung ist, stieg gar auf das Fünffache. Das dadurch ausgelöste Wachstum zog zudem vermehrt zinsgünstiges Kapital internationaler Investoren in die Region, insbesondere nach der weltweiten Finanzkrise von 2008. Inzwischen hat sich das Blatt aber gewendet. Die allmähliche wirtschaftliche Erholung in Europa und in den USA sowie eine von Brasilien ausgehende Abschwächung der Konjunktur in der Region bewirkten, dass vermehrt wieder Kapital aus Lateinamerika abgezogen wird. Auch die Rohstoffpreise liegen wieder unter den Höchstmarken. Für dieses Jahr erwarten fast alle Staaten einen Rückgang der Zuwachsrate.

Armut als Entwicklungshemmnis

Was aber hat Lateinamerika aus dem «goldenen Jahrzehnt» gemacht? Es ist die Region mit den grössten sozialen Ungleichheiten. Die Ursachen dafür gehen zurück bis in die Kolonialzeit oder teilweise sogar davor. Die Kolonialherren schrieben die Ungleichheit sozusagen institutionell fest, indem sie den Einwohnern je nach Herkunft und Rasse unterschiedliche wirtschaftliche Tätigkeiten – und damit auch völlig ungleiche Einkommensaussichten – zuwiesen. Die grosse Ungleichheit und die grosse Armut sind nicht nur mit der menschlichen Würde unvereinbar. Sie bilden auch ein wichtiges Hindernis für die politische und wirtschaftliche Entwicklung der Region. So sind etwa grosse Teile der Gesellschaft von einer qualitativ akzeptablen Bildung oder einem funktionierenden Gesundheitssystem ausgeschlossen. Wenn aber ein substanzieller Teil der heranwachsenden Generationen keine vernünftige Schulbildung erhält, können die betroffenen Länder ihr Potenzial nicht ausschöpfen. Wer keine ausreichende Gesundheitsversorgung besitzt, wird im Arbeitsprozess nicht die volle Leistung erbringen. Schliesslich sind Armut und Ungleichheit auch Ursachen für die hohen Kriminalitätsraten.

Es ist deshalb in Lateinamerika weitgehend unbestritten, dass die Bekämpfung von Armut und Ungleichheit zu den wichtigsten langfristigen Prioritäten jeder Regierung gehören muss. Der Boom der letzten zehn bis fünfzehn Jahre bot die einmalige Chance, dieses jahrhundertealte Problem endlich ernsthaft anzupacken. Ein Blick auf die grössten Wirtschaften Südamerikas – ohne Kolumbien, das als Bürgerkriegsland ein Spezialfall ist – zeigt, dass diese ganz unterschiedliche Strategien gewählt haben. Venezuela und Argentinien setzten auf massive Eingriffe in die freie Marktwirtschaft und blähten das Staatsbudget auf, um die Nachfrage anzuheizen und Stellen zu schaffen. Chile und Peru andererseits verfolgten einen marktwirtschaftlichen Ansatz. Peru implementierte seit den späten neunziger Jahren ähnliche Reformen, wie sie das Nachbarland bereits zwei Jahrzehnte früher unter der Diktatur von Pinochet in Angriff genommen hatte. Brasilien schliesslich wählte einen Mittelweg: eine sozialdemokratisch orientierte Strategie mit umfassenden staatlichen Programmen zur Integration der unteren Schichten, aber gleichzeitig mit einer unternehmerfreundlichen Politik, begleitet von protektionistischen Massnahmen.

Anhänger des staatsinterventionistischen Modells à la Argentinien und Venezuela entschuldigen dessen autoritäre Züge und dessen wirtschaftliche Probleme gerne mit dem Argument, die betreffenden Regierungen hätten besonders viel zur Reduktion von Armut und Ungleichheit getan. Ein Blick auf die Statistiken – etwa der Wirtschaftskommission der Uno für Lateinamerika oder der Weltbank – zeigt jedoch, dass die Armut in den meisten Ländern der Region in den letzten Jahren deutlich abgenommen hat. Die Reduktion war weniger eine Folge von spezifischen Regierungspolitiken als vielmehr des Geldsegens infolge des Exportbooms. Laut der Weltbank ist der Anteil der Bewohner Lateinamerikas und der Karibik, die in Armut leben, zwischen 2000 und 2010 von 41 auf 28 Prozent gesunken. Rund 73 Millionen Menschen sind dort in den letzten zehn Jahren der Armut entflohen. Auch die ungleiche Verteilung des Reichtums hat laut der Weltbank abgenommen. Der zur Messung der Ungleichheit verwendete Gini-Koeffizient ist laut dem Finanzinstitut zwischen 2000 und 2010 von 0,57 auf 0,52 zurückgegangen.

Die venezolanisch-argentinische Krankheit

Die reine Veränderung der Prozentzahlen in den letzten Jahren sagt allerdings wenig aus über die Nachhaltigkeit der Armutsreduktion. Ist die Verbesserung lediglich das Resultat der Subventionierung der Bedürftigen dank momentan vollen Staatskassen? Oder gründet sie auf Investitionen zur Leistungssteigerung der Volkswirtschaft, deren Wirkung auch nach einem Ende des Exportbooms anhalten wird? Für die konkurrierenden wirtschaftspolitischen Ansätze ist inzwischen nämlich die Stunde der Wahrheit gekommen. Argentinien und Venezuela haben zwar während einiger Jahre die höchsten Wachstumswerte generieren können, doch haben sie ihre Wirtschaften mittelfristig mit ihrem marktfeindlichen Staatsinterventionismus regelrecht zugrunde gerichtet. Beide leiden heute an einer galoppierenden Inflation, am raschen Wertzerfall ihrer Währungen, an Mangelerscheinungen beim Warenangebot und an ungenügenden Investitionen; ihre Wachstumsraten sind inzwischen unter den Durchschnitt gefallen. Brasilien hat im regionalen Vergleich nie Spitzenwachstumsraten erzielt und kämpft zurzeit mit einem abnehmenden, geringen Wachstum. Immerhin leidet es aber nicht an den Fieberzuständen, die Argentinien und Venezuela derzeit heimsuchen. Die chilenische und die peruanische Volkswirtschaft schliesslich erscheinen weitgehend gesund, auch wenn sie in den kommenden Jahren ebenfalls mit abnehmendem Wachstum rechnen müssen. Chile kann auf dreissig Jahre stabile Wirtschaftsentwicklung zurückblicken, bei einer durchschnittlichen jährlichen Zuwachsrate von über fünf Prozent. Dies hat dem Land zwar das höchste Pro-Kopf-Einkommen der Region gebracht, doch selbst hier wurde das Problem der sehr ungleichen Einkommensverteilung noch nicht gelöst. Armut und Ungleichheit werden für Lateinamerika auch in den kommenden Jahren eine Herausforderung bleiben.

http://www.nzz.ch/aktuell/startseite/stunde-der-wahrheit-1.18282743

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